Ganze Unternehmen oder auch nur Teile davon zu verändern ist eine besondere Aufgabe – nicht umsonst beschäftigt sich eine ganze Branche damit: Unternehmensberater. Häufig werden sie beauftragt, für mehr Leistung und Produktivität zu sorgen. Genauso häufig werden sie auch belächelt, sobald sie sich umdrehen. Alle wissen ja bereits, dass das so nix wird.
Trotzdem ist er da, dieser Wunsch nach Veränderung. Du merkst, so gehts nicht mehr – es muss sich was ändern, weil die Produktivität nicht stimmt, weil alle unzufrieden werden, weil die Arbeitsbelastung zunimmt. Diese Wahrnehmung teilen meist alle – vom Top-Management bis zum Sachbearbeiter.
Jedes Organisationsmitglied würde sofort unterschreiben, dass sich etwas ändern muss. Hinter vorgehaltener Hand wird darüber schon lange geredet, und seit der ersten Eskalation mit dem Kunden auch endlich in formalem Meetings mit der Geschäftsführung.
Die Geschäftsführung steht unter Druck – nicht nur der Kunde ist unzufrieden, auch der Kapitalgeber wird es langsam. Dann wird endlich ein Veränderungsprojekt initiiert, eine „agile Transformation“ ausgerufen oder irgendein neuer Prozess entwickelt. Dieser Prozess soll vieles verbessern:
„Wir wollen schließlich schneller und unsere Kunden sollen zufriedener werden.“ Auch diese Anforderung teilen meist alle in der Organisation. Es gibt ein Commitment, das in Workshops erarbeitet wird: ab sofort arbeiten alle nach dem neuen Prozess.
Und dann? Egal was der Auslöser für das Veränderungsprojekt war, die Muster sind häufig dieselben: nach einigen Wochen wird schnell klar, dass sich keiner an den neuen Prozess hält. Die gemeinsam erarbeitete Vorgehensweise ist Schnee von gestern.
War ja klar, dass das so nix wird. „Das haben wir ja immer gesagt.“ Typische Sätze von Angestellten, die vom Change geplagt sind.
Typische Sätze von Entscheidern, um den Prozess dann doch noch ans Laufen zu bringen, lauten dann:
- „Wir müssen die Mitarbeiter nochmal besser qualifizieren“ – es werden also noch mehr Trainings durchgeführt.
- „Die müssen jetzt einfach mal lernen, zusammenzuarbeiten“ – in einem Offsite wird über die fehlende Kollaboration gesprochen und Maßnahmen vereinbart, wie man die Schnittstellen besser gestaltet.
- „Unser Wettbewerber arbeitet mit einem neuen Tool“ – Best Practice Methoden und IT-Werkzeuge werden zusätzlich eingeführt.
Diesen Aussagen liegen häufig Denkfehler zugrunde.
Hier kannst Du nachlesen, welche die 4 typischsten Denkfehler im Change Management sind und warum sie so schädlich sind.
Schöner wäre es vermutlich gewesen, wenn allen Beteiligten – vor allem den Entscheidern – in Deiner Organisation diese Denkfehler vorher bekannt gewesen wären. Wenn nur der Konjunktiv nicht wäre … dann hättet Ihr in Deiner Organisation jetzt vielleicht nicht dieses Problem. Ihr würdet vielleicht nicht auf halber Strecke merken, dass es so nicht funktioniert. Also – was tun?
Hier teile ich drei Schritte mit Dir, mit denen Du das Ruder doch noch mal herumreißen kannst.
#Ursachenforschung
Zunächst mal: Ursachenforschung. Nichts leichter als das, oder? Es ist immer ganz naheliegend, die Ursache in den handelnden Personen zu suchen. „Die können das nicht.“ „Die haben sich schon wieder nicht an die Verabredung gehalten.“
Es gibt eine Faustregel, die Du unbedingt beachten solltest. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter: Du findest die Ursache nicht, wenn Du sie nicht beachtest. Probiere es mal aus. Am Anfang ist es ziemlich gewöhnungsbedürftig, weil wir es als Angestellte nicht gewohnt sind, so zu denken.
Also hier die Faustregel: Es liegt nicht an den Menschen, nicht an Dir, nicht an Deinen Kollegen, nicht an den Führungskräften und nicht am Top-Management. Und nun stell Dir mal einige Fragen.
Vermeide dabei die Frage nach dem „Warum handelt er/sie so“? Diese Frage bringt Dich nicht weiter. Stattdessen frage Dich: warum ist es nützlich, dass Dein Kollege so handelt wie er handelt? Warum ist es opportun, sich nicht an den neuen Prozess zu halten? Welches Problem löst Deine Kollegin damit, wenn sie sich nicht an Vorgaben hält?
Sammle Beispiele aus denen sehr klar hervorgeht, warum es nützlich ist, genauso zu handeln, wie sie es tun. Hier mal ein Beispiel:
Im neu entwickelten Prozess wurde festgelegt, dass der Vertrieb nur die Aufträge annimmt, die in der Produktion abgearbeitet werden können. Dazu wird in einem Regeltermin mit der Produktion über die Auftragseingänge gesprochen und festgelegt, welche Aufträge angenommen werden und welche nicht.
Produktionsmitarbeiter stellen fest, dass Aufträge teilweise gar nicht besprochen werden oder trotzdem angenommen werden, was zu Misstrauen zwischen Vertrieb und Produktion führt, weil sich die Vertriebler nicht an diese Vereinbarung halten.
Stellt man sich die Frage, warum es für den Vertrieb nützlich ist, jeden Auftrag anzunehmen, könnte eine Ursache beispielsweise in der Zielsystematik liegen: Der Vertrieb muss ein bestimmtes Umsatzvolumen pro Jahr liefern, um seine Ziele zu erreichen.
Das kann er nur tun, in dem er ohne Rücksicht auf Verluste die Aufträge annimmt und dementsprechend auch ohne Rücksicht auf die Produktion. Da er ahnt, dass der Produktionsleiter mit Blick auf seine Auslastung ablehnen wird, wird der Auftrag im Regeltermin nicht besprochen und trotzdem angenommen.
#Quatschen, Quatschen, Quatschen
Von diesen Beispielen findest Du sicher einige. Nutze jetzt die informelle Struktur und teile Deine Beobachtungen und Beispiele mit Deinen Kollegen. Du stellst damit sicher, dass Du kein Geisterfahrer bist, Du schärfst Deine Beobachtungen und findest auch weitere Beispiele.
Wichtig ist: Diese Beispiele müssen so konkret wie möglich sein, am besten mit Projektnummer oder ähnlichem dargestellt, sauber nachvollziehbar.
Wenn Ihr mal wieder in der Kaffeeküche plaudert oder nach der Arbeit um 17 Uhr: suche kurze und kleine Gesprächsrunden mit Kollegen. Achte dabei darauf, dass Du auch und vor allem Kollegen ansprichst, die ein hohes Ansehen in der Organisation genießen. Von denen man sagt, wenn er/sie dabei ist, dann muss an der Sache was dran sein. Also Verbündete, die Deine Einschätzungen teilen.
Eine häufige Reaktion auf die Frage „Warum ist es eigentlich klug/nützlich, dass sich jemand so verhält?“ ist übrigens die Antwort „das ist nicht klug/nützlich“ und ein verächtliches Lächeln. Das bringt Dich nicht weiter. Der Kollege begeht dann wieder denselben Denkfehler. Ich habe mir dafür etwas zurechtgelegt:
Nur mal angenommen, an der Hypothese, dass es nicht an den Menschen liegt, ist was dran. Was wäre es dann? Sollten wir wirklich die Chance außer Acht lassen, da mal näher hinzuschauen?
#Wer sagt’s ihm?
Nach ein paar Tagen hast Du einen guten Überblick, ob Du Geisterfahrer bist oder nicht. Wahrscheinlich nicht, denn auf Deine Intuition kannst Du Dich verlassen. Nun hilft es aber nicht viel, wenn Du Dir mit Deinen Kollegen einig bist, wenn Ihr alle der Meinung seid, dass es so nicht funktioniert. Es braucht eine Entscheidung vom Management für Veränderungen.
Hier schlägt häufig ein typischer Reflex zu: Man überlegt, WIE man es am besten sagt. Dann werden PowerPoint Präsentationen vorbereitet, (un-) übersichtliche Diagramme gestaltet oder Vorstandsvorlagen erarbeitet, in denen jedes Wort dreimal auf die Goldwaage gelegt wird. Das kostet Zeit, ist wirkungslos und verwässert in den meisten Fällen sogar die eigentliche Botschaft.
PowerPoint Präsentationen sind zu einfach für dieses komplexes Problem. Kompliziertes kann man mit der Frage nach dem WIE beantworten, da reicht ein Schriftstück (gerne auch PowerPoint) vollkommen aus.
Entscheidend für derart komplexe Aufgaben ist jedoch, WER es sagt. Wer ist der richtige, der es dem Top-Entscheider anbieten kann? Wer ist der richtige, dem Du zuschreibst, dass ihr oder ihm wirklich zugehört wird. Wer ist der Könner, der die Zusammenhänge gut darlegen kann?
Mal angenommen, Annegret, Teamleiterin in der Entwicklung, ist die richtige. Ihr schreibt man zu, dass sie Gehör findet. Sie genießt hohes Ansehen im Management und es gelingt ihr, die Zusammenhänge gut sortiert darzulegen.
Hier gilt nun: bitte den Dienstweg einhalten. Für das anstehende Gespräch mit dem Top-Management muss ja der formale Weg mitgedacht werden. Den formalen Weg, der in Deiner Organisation der richtige ist, kennst Du selbst am besten. Und Du weißt auch, was passiert, wenn man ihn nicht einhält.
Wenn Annegret also einfach zur Assistentin der Geschäftsführung geht und sich einen Termin holt, ohne es vorher mit ihrem Chef und dessen Chef abgesprochen zu haben. Die Überschreitung solcher Grenzen kann, auch wenn sie mit guter Absicht erfolgt, nach hinten losgehen. Dann geht es nicht mehr um die Botschaft, sondern nur noch darum, dass Annegret ihren Chef und dessen Chef nicht eingebunden hat.
Keine Antwort ist auch eine Antwort
Diese ganzen Überlegungen sind manchmal langwierig, anstrengend und schlicht und einfach nervend, weil es doch so einfach sein könnte.
Und es birgt eine Gefahr: Wenn der Top-Entscheider die Veränderung „angeordnet“ hat, droht ein Gesichtsverlust, den Du unbedingt vermeiden solltest. Er könnte dann gar keine Anpassungen mehr vornehmen, ohne dass er – sogar vor der ganzen Organisation – zurückrudern muss. Gib ihm also die Möglichkeit, eine auch für ihn denkbare Lösung zu finden.
Auch wenn es nicht sofort eine offizielle Reaktion gibt, die Du Dir vielleicht wünscht: Manchmal verlaufen Veränderungsprojekte einfach im Sande, ohne dass aus dem Top-Management jemand danach fragt. Dann weißt Du, was das heißt – oder?
Es entspannt übrigens ungemein, wenn man nicht jemand anderen überzeugen möchte. Das gelingt ohnehin selten.
Auf eine Einsicht hoffen, ist hingegen realistisch. Wenn Annegret die richtige Könnerin ist, könnt ihr zusammen auf die Einsicht vom Management hoffen.
Hallo Katharina,
ich möchte Deinen Blogbeitrag gerne um drei Punkte ergänzen, welche ich bei Lars und Mark theoretisch im Rahmen der FL-Ausbildung lernen durfte und neben meinen eigenen täglichen Erfahrungen auch nochmals sehr eindrucksvoll bei Detlef Lohmann, Fa. Allsafe in Engen gehört habe. In dynamischer / komplexer Umgebung braucht es für Entscheider / Führungskräfte insbesondere: 1. die Fähigkeit zur Beobachtung (unterscheiden und bezeichnen), 2. Arbeit an Strukturen (entscheidbare Entscheidungsprämissen) und nicht an Kultur / Personen (nur beobachtbar / nicht entscheidbar) und 3. (der für mich entscheidende Punkt) organisatorische Rahmenbedingungen an denen Teams gemeinsam an echten Kundenproblemen arbeiten und von internen Referenzen „befreit“ werden.
VG aus München
Thomas Brösamle – geno-komplex.de
Danke für die Ergänzung, Thomas.