Donnerstag, 06. März: Konflikte meistern
»Auf ein Glas mit Lars«

Das unfaire Spiel

Warum die Herausforderer den America’s Cup eigentlich gar nicht gewinnen können
Mitarbeitergespräche: Die Haute Cusine der hohlen Phrasen
Lars Vollmer
Mitarbeitergespräche: Die Haute Cuisine der hohlen Phrasen
Der Schlüssel zur Entscheidungsstärke
Mark Poppenborg
Der Schlüssel zur Entscheidungsstärke
Der schädliche Zielreflex
Mark Poppenborg
Der schädliche Zielreflex
Das Mündigkeits-Dilemma
Mark Poppenborg
Das Mündigkeits-Dilemma
Take it to the limit
Lars Vollmer
Take it to the Limit

Geht es in eurem Markt fair zu?

Und ist es eure Aufgabe als Unternehmer oder Führungskräfte für Fairness und Gerechtigkeit im Markt zu sorgen? Die Antwort auf diese Frage ist ein ziemlich dickes Brett. Schon allein die feinen Unterschiede zwischen den Begriffen „Fairness“, „Gerechtigkeit“ und „Gleichheit“ herauszuarbeiten, würde locker für ein philosophisches Proseminar reichen.

Das tue ich euch und mir jetzt nicht an, sondern versuche es, so wie ihr es in dieser Rubrik „Auf ein Glas mit Lars“ gewohnt seid, mit einer Anekdote, quasi einem Gleichnis.

Der America’s Cup ist zutiefst unfair

Ich habe es an der einen oder anderen Stelle schon mal erwähnt: Ich habe das Vergnügen, aus meiner Wohnung in Barcelona mit direktem Blick auf den alten olympischen Hafen von 1992 gucken zu können. Und exakt davor platzierten die Veranstalter das Revier des 37. America’s Cup, dem ältesten Segelwettbewerb der Welt. Ach was sage ich: dem ältesten Sportwettbewerb überhaupt – jedenfalls wenn ihr die olympischen Spiele der Antike „rausrechnet“.

Erstmals gesegelt wurde 1851 anlässlich der ersten Weltausstellung in London vor der Isle of Wight. Gewinner war das amerikanische Boot des New York Yacht Clubs. So nannten die Amerikaner dann auch gleich bei der zweiten Ausgabe (19 Jahre später) den Pokal selbstbewusst „America’s Cup“ und gaben den ausgesucht hässlichen Wanderpokal in den folgenden 132 Jahren (!) nicht mehr ab. In dieser längsten Siegesserie der Sportgeschichte verteidigten sie 25-mal den Cup, bis 1983 das Boot „Australia II“ die Handwerker des New York Yacht Clubs in Verlegenheit brachte: Diese mussten nämlich den Pokal abschrauben, der Jahrzehnte vorher siegesgewiss im ehrwürdigen Clubhaus in der 44th Street fest montiert wurde.

Da die 37. Auflage nun direkt vor meiner Haustür ausgetragen wurde, hab ich mich als „Segel-Legastheniker“ ein wenig eingelesen und wurde zudem bei gut gekühltem Estrella Damm von einem gut befreundeten Segelenthusiasten in die Feinheiten eingeführt. Ich habe nicht schlecht gestaunt.

Der America’s Cup verfügt seit 1851 über eine Stiftungsurkunde, dem „Deed of Gift“. In diesem ist das grundlegende Procedere beschrieben. Ich verzichte auf die vielen Feinheiten, nur soweit: der „Defender“, also der Gewinner der vorherigen Austragung, bestimmt die Details des Wettbewerbs, wie z.B. den Austragungsort. Glücklicherweise hatten sich die Neuseeländer, als Gewinner der 36. Ausgabe dazu entschieden, ihren Titel in Barcelona zu verteidigen. Die Stadt soll sich mit ca. 80 Millionen Euro dafür finanziell eingesetzt haben.

Der „Defender“ gibt zudem entscheidende Aspekte der Rennboote vor, wie die Bootsklasse, Segelfläche, Flügelgröße (richtig gelesen: die Boote fliegen inzwischen) und viele weitere technische Details. Auf diese muss er sich dann mit dem sogenannten „Challenger of Record“ einigen. So wird der Yachtclub bzw. das Land genannt, das den Sieger als erstes herausfordert – eine Prozedur, die meist von langer Hand vorbereitet ist und dann an einem geheimen Ort, nur Sekunden nach Titelgewinn vollzogen wird.

In der Praxis heißt das nun, dass der Defender zunächst einmal für sich überlegt, wie er in Übereinstimmung mit den Beschränkungen der Stiftungsurkunde das Boot gerne hätte. Dazu sucht er nach passenden Materialien, baut Prototypen, testet im Windkanal und auf dem Wasser, modifiziert und testet erneut. Erst dann wird, zunächst dem Challenger of Record, anschließend allen potenziellen Herausforderern das technische Reglement übermittelt.

Mit gleichen Voraussetzungen hat das nun mal gar nichts zu tun. Wenn die Herausforderer anfangen, die neuen Regeln zu studieren und ein neues Boot zu entwickeln, kann der Defender die Zeit für inkrementelle Optimierung des Bootes und viel Training auf offener See nutzen. Er ist quasi schon fertig, wenn die anderen erst beginnen. Mich erinnert das an die alte Spülmittelwerbung: 🎶„Während Villariba schon feiert, wird in Villabajo noch geschrubbt.“ 🎶

Wäre der America’s Cup ein einfaches Seifenkistenrennen, hätte das wohl wenig Relevanz. Aber hier geht es um Hightech. Ein Boot der aktuellen America’s Cup Klasse kostet viele Millionen Dollar, und wer nicht mindestens 100 Mio. Dollar an Sponsorengelder für die Entwicklung und den Betrieb des Bootes aufbringt, wird überhaupt keine Chance haben. Die Engländer, Italiener sowie die erneut siegreichen „Kiwis“ sollen dieses Jahr wohl über ein Budget von jeweils rund 200 Mio. Dollar verfügt haben.

Ein bis zwei Jahre Vorsprung ist bei der Entwicklung von Hochtechnologie natürlich eine echte Hausnummer. Und selbst wenn es einem Team bis zum nächsten Wettbewerb gelänge, den Vorsprung zu verkürzen, so würde der Zyklus bei einer Niederlage anschließend wieder neu beginnen.

Ist das fair? Natürlich nicht. Oder vielleicht etwas differenzierter: Alle Teilnehmer halten sich penibelst an die Regeln, was sehr aufwändig von „Umpires“, also Schiedsrichtern vor und während der Rennen kontrolliert wird – also geht es fair zu. Nur die Regeln selbst sind nicht fair. Sie bevorzugen auf besondere Weise den Gewinner und benachteiligt die Herausforderer. Kein Wunder, mögt ihr einwenden, dass die Amerikaner 25-mal hintereinander gewonnen haben und auch dieses Jahr die Kiwis zum dritten Mal hintereinander.

Ich bin mir trotz der unfairen Regeln sicher: Es wird eine 38. Auflage des America’s Cup geben. Der nächste „Challenger of Record“ hat bereits seine Hand gehoben, mindestens das englische Boot wird die Kiwis also herausfordern. Vermutlich treten aber wieder mehrere Nationen an, vielleicht wieder sechs. Und es werden erneut rund 1 Mrd. Dollar von namhaften Sponsoren fließen – im Übrigen fast ausschließlich Luxusmarken, denn der America’s Cup ist „Billionaire’s Sport“. Mehrere Millionen Besucher werden sich der Mühe unterziehen, an den Regatta-Ort zu reisen, zum Teil per Segelboot.

Mein Punkt ist: Alle Beteiligten kennen die unfairen Regeln, alle Herausforderer wissen, dass ihre Chancen geringer sind, als die des Titelverteidigers. Und sie nehmen trotzdem teil. Freiwillig. Sie lassen sich auf Wagnis und Risiko ein. Es erscheint sogar offensichtlich, dass das Regelwerk, so unfair es auch sein mag, einen Teil des Reizes ausmacht. „Tradition“ nennen es manche. Und da der America’s Cup nicht nur Sport, sondern auch Teil der Unterhaltungsindustrie ist, sind die Veranstalter womöglich gut darin beraten, die Regeln zu belassen, wie sie sind. Sonst ist es womöglich danach fairer, dafür aber fad und niemand interessiert sich mehr dafür.

Denn wer schaut nicht gerne David gegen Goliath?

Die Moral von der Geschicht’

Mit einem Wirtschaftsunternehmen auf einem Markt agieren, im Wettbewerb mit Konkurrenten um die Gunst von Kunden und das Wohlwollen von Lieferanten zu buhlen, ist wahrlich nicht das gleiche wie ein achtwöchiges Segelevent vor der Mittelmeerküste von Barcelona. Aber unfair ist es auch:

  • Das eine Start-up bekommt eine Finanzierung von 12 Monaten von einem lokalen Business Angel. Ihr nicht, obwohl euer Produkt viel besser ist.
  • Das eine Unternehmen zahlt beim Lieferanten 20 % weniger der Logistikkosten, weil sie Nachbarn sind. Ihr zahlt 20 % mehr.
  • Die Vertriebschefin von Company 1 kennt zufällig aus der Schule ihrer Kinder den Einkäufer des großen Konzernkunden gut und bekommt deswegen viel leichter einen Termin bei ihm. Ihr beißt euch bei der Terminvereinbarung die Zähne aus.
  • Am Standort des Wettbewerbers gelten andere IT-Security-Richtlinien als bei euch im Land. Die Prozesse sind bei ihm daher viel schlanker und eure Kunden meckern.

Fair ist das nicht, keine Frage.

Ließe sich das ändern? Ja, womöglich schon, auch wenn es wohl dafür sehr viel Zeit, Mühe und Glück bedarf.

Lohnt es sich, als Lobbyist, Aktivist oder sonst wie auf dem Markt für Fairness zu streiten? Eine sehr individuelle Frage, das mögt ihr bitte selbst für euch entscheiden. Meine Antwort darauf lautet: selten ja, meistens nein.

Und es besteht dazu eine sehr große Gefahr: Ihr könntet durch das Ausmerzen der Unfairness an einer anderen Stelle fünf neue unfaire Konstellationen hinterlassen. Unfairness ist in dieser Beziehung wie das vielköpfige Ungeheuer namens „Hydra“ aus der griechischen Mythologie, der stets zwei neue Köpfe wachsen, wenn ihr einer abgeschlagen wird.

Ich werde bei passender Gelegenheit Sir Ben Ainslie, dem Skipper des unterlegenen englischen Bootes mit dem Namen „GBR-3“ wohl den Vorschlag unterbreiten, sein Boot für die 38. Ausgabe des America’s Cup statt „GBR-4“ besser „Hydra“ zu taufen – als Sinnbild für die kreaturgewordene Komplexität.

Dann klappt’s auch mit dem Sieg.

Dich könnte auch dieser Artikel interessieren: »Strategiestärke – Das unsichtbare Band«
Autor
Diskussion
0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments
Auf ein Glas mit Lars
Wenn ihr selbst auch eine Anekdote zu Führung und Change erlebt habt, die es wert ist, hier erzählt zu werden, so schreibt Lars doch bitte an AufeinGlas@intrinsify.de.
Lars‘ Anekdoten oder Analogien, aus denen er selbst etwas zu moderner Arbeit, Führung, Change oder Organisation gelernt hat. Erzählungen die ihn zum Schmunzeln gebracht, ihn fasziniert und inspiriert haben oder ihm einen kleinen Schauer über den Rücken haben laufen lassen. Und dazu immer ein gutes Getränk.
News von intrinsify

Starte in die intrinsify Welt, indem Du Dich zu unseren News anmeldest. Jeden Donnerstag neue Impulse zu moderner Unternehmensführung und Organisationsentwicklung.

Special Edition: Virtuell & Präsenz

Werde Organisations­designer und bringe
mehr Agilität in Dein Unternehmen.

In 5 Monaten zu mehr Wirksamkeit in Deiner Rolle.
Schneller geht’s nicht!
100% praxisnah bullshitfrei vernünftig
freisteller lars mark elli phillipp

GUTE IDEEN...

für wirksame und bullshitfreie Arbeit
Starte in die intrinsify Welt. Jeden Donnerstag nützliche Impulse zu moderner Unternehmensführung & Organisationsentwicklung.

Rubriken

Unternehmen

Die intrinsify Ausbildung
Die intrinsify Ausbildung

FUTURE LEADERSHIP

Löse Führungsprobleme, die andere noch nicht mal verstehen.

Die intrinsify Ausbildung

FUTURE LEADERSHIP

Löse Führungsprobleme,
die andere noch nicht mal verstehen.

DEIN PERSPEKTIV­WECHSEL AUF CHANGE

Nimm an 2 kostenlosen Live Sessions der intrinsify Ausbildung teil, die Deinen Blick auf Change komplett verändern.
Mehr erfahren

Konflikte meistern

Donnerstag, 06. März 2025
16.00 Uhr – 18.00 Uhr

Kostenlos. Live. Online.

Konflikte meistern

Donnerstag, 06. März 2025
16.00 Uhr – 18.00 Uhr – Kostenlos. Live. Online.

100% praxisnah bullshitfrei vernünftig

GUTE IDEEN...

für wirksame und bullshitfreie Arbeit
Starte in die intrinsify Welt. Jeden Donnerstag nützliche Impulse zu moderner Unternehmensführung & Organisationsentwicklung.
Start in...
00
Tage
00
Std
00
Min
00
Sek

WIR FÜHREN ANDERS!

Das Digitale Live-Event

Denkanstöße für Deine Führung, die wachrütteln, inspirieren und anstecken.

LIVE-WEBINAR

Du willst mehr Agilität in Deinem Unternehmen? Dann bist Du hier richtig.

Was ist eigentlich Future Leadership?

WIR FÜHREN ANDERS!​

Das Digitale Live-Event

Denkanstöße für Deine Führung, die wachrütteln, inspirieren und anstecken.

GUTE IDEEN...

für wirksame und bullshitfreie Arbeit
Starte in die intrinsify Welt. Jeden Donnerstag nützliche Impulse zu moderner Unternehmensführung & Organisationsentwicklung.
Die intrinsify Ausbildung