Donnerstag, 06. März: Konflikte meistern
»Auf ein Glas mit Lars«

Mitarbeitergespräche: Die Haute Cuisine der hohlen Phrasen

Wie ein beliebtes Management-Ritual zuverlässig Business-Theater provoziert
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Jahresbeginn + Führung = Mitarbeitergespräche!

Diese Formel ist in den Köpfen von vielen Mitarbeitern und ihren Chefs so tief eingebrannt wie ihr Geburtsdatum oder die Tatsache, dass es freitags in der Kantine Fisch gibt. Mit anderen Worten: So gehört sich das, so muss das sein, so ist das eben. Zum Jahresanfang gibt es – Achtung, heiß und fettig – Mitarbeitergespräche serviert.

Wenn ihr mich fragt, Gespräche zwischen zwei Menschen mag ich schon. Und Fisch auch – jedoch nur, wenn er in der Mitte nicht zu glasig und nicht zu trocken ist und bitte nicht jede Woche und nicht nach dem immer gleichen Rezept zubereitet.

Mitarbeitergespräche nach Omas Rezept

Die Grundrezeptur für Mitarbeitergespräche hat sich in den letzten Jahren eigentlich nicht verändert – lief ja schließlich immer gut so: Man nehme ein abgehangenes Stück Mitarbeiter und setze es ins Besprechungszimmer des Chefs. Dort lasse man den Mitarbeiter dann erst mal zwanzig Minuten im eigenen Sud köcheln, bis die Zuversicht deutlich reduziert ist. Wenn man dann zum Ablöschen einen ordentlichen Schuss Chef und eine große Prise dezidierten Gesprächsleitfaden von HR hinzugibt, zischt es schön. Allerdings kommt nach Omas Rezept auch immer dieselbe übel riechende Soße dabei heraus.

Wenn ihr mal kurz kosten möchtet, der Geschmack lässt sich ungefähr so zusammenfassen: „Im Großen und Ganzen läuft es bei Ihnen ja richtig gut. Es ist natürlich trotzdem noch Luft nach oben. Bleiben Sie dran und strengen Sie sich an! Gut, dass wir mal wieder miteinander gesprochen haben!“

Hmmm, irgendwie habe ich schon beim Gedanken daran einen schalen Geschmack auf der Zunge … Sterneküche funktioniert anders.

Ausgeburt des Business-Theaters

Aber wie soll sie auch funktionieren, wenn nicht nur das Rezept völlig überholt, sondern auch die Zutaten schon verdorben sind?

Was ich damit sagen will: Zielvereinbarungs- beziehungsweise Mitarbeitergespräche gründen zumeist auf Zielen, die oft schon im Herbst des vorangegangenen Jahres definiert wurden. Bekanntlich ändert sich die Welt jedoch schneller als im Jahresrhythmus. Bis zum Zeitpunkt des Zielgesprächs sind diese Vereinbarungen und die zugrunde gelegten Annahmen dann im Wesentlichen überholt.

Was also tun? Eure Leute während der Mitarbeitergespräche an Parametern messen, die gar nicht mehr aktuell sind? Eben so, wie es das Zielvereinbarungshandbuch vorschreibt?

Klar, ihr könnt – wie in vielen Unternehmen gelebte Praxis – auf Zielvereinbarung pochen, damit ihr die Zielerreichung auch ordentlich dokumentiert und den Bonus auszahlen könnt. Doch damit ist Frust bei euren Mitarbeitern vorprogrammiert. Denn schließlich hatte der Mitarbeiter keinen Einfluss darauf, dass etwa technische Probleme oder die spontane Änderung der Kundenwünsche ganz neue Bedingungen geschaffen haben.

Für mich ist diese Vorgehensweise – wie ihr wisst – nichts als reines Business-Theater.

Keine Sterneküche ohne Kunde

Denn in dieser leider üblichen Managementpraxis wird davon ausgegangen, dass eine Führungskraft am besten weiß, was der Mitarbeiter leistet und wo er Entwicklungspotenzial hat. Das tut sie jedoch nicht. Meist ist der Vorgesetzte viel zu weit weg, um zu wissen, welchen Beitrag dessen Arbeit tatsächlich auf die Leistung hat und welches Feedback ihm gerade helfen würde. Und da Leistung immer emergent ist, ist die individuelle Sicht auf einen Mitarbeiter eh nicht entscheidend, sondern die Passung von Teammitgliedern zueinander und zum Problem.

Und so wird doch lieber der Mitarbeiter durch ein individuelles Bewertungsraster gezogen und die Hierarchie ein weiteres Mal über eine formell vorgeschriebene Praxis manifestiert. Da hilft auch kein 360-Grad-Firlefanz – es ist und bleibt eine Demonstration von Oben und Unten, die auf Konformität abzielt und nicht auf Lernen. Wahre Entwicklung ist so fast unmöglich.

Zumal in diesem Manifest auch überwiegend nur interne Referenzen in die Beurteilung einfließen. Da geht es darum, ob die Auslastung in der Produktion oder die Planzahlen im Vertrieb erreicht wurden. Es wird resümiert, ob Materialbestände im Lager auf das Zielniveau reduziert oder die internen Projekte im Zeit- und Kostenplan abgeschlossen wurden. Dazu fließt noch ein, ob sich der Mitarbeiter außerordentlich engagiert hat – oft gemessen an der geleisteten Arbeitszeit. Aber: Was bringt euch der beste Küchenchef, wenn euer Restaurant leer bleibt?

Einen wertvollen und letztlich wertschöpfenden Lerneffekt ermöglichen nur externe Referenzen. Denn einzig und allein der Kunde kann beurteilen, ob ihm eure Suppe – und besteht sie aus noch so exklusiven Zutaten – tatsächlich schmeckt. Er beurteilt mit seinem Kauf, seiner Weiterempfehlung und insbesondere durch den Nichtkauf beim Wettbewerber, ob ihr ihm mit euren Produkten und Dienstleistungen einen Nutzen gestiftet habt oder nicht. Und das ist nun mal ausschlaggebend für echtes Lernen und wirkliche Wertschöpfung.

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Mitarbeitergespräche für Androiden

Manchmal werde ich zu beschwichtigen versucht: Mitarbeitergespräche seien doch in erster Linie ein Gespräch zwischen zwei Menschen. Nein, das sind sie eben nicht. Vielleicht könnten sie das sein, aber das geht nach meiner Beobachtung oft an der betrieblichen Realität vorbei. Mitarbeitergespräche sind vielmehr artifizielle, geskriptete Gesprächsautomationen, fernab jeglicher natürlicher Kommunikation. Und das mag vorteilhaft für die Arbeit mit Androiden sein, bei echten Menschen halte ich die toxische Wirkung für deutlich größer als den bürokratischen Nutzen.

Es ist nicht das Gespräch zwischen Menschen an sich, auch nicht zwischen Chef und Mitarbeiter, die mir ein Haar in der Suppe sind. Was mich stört, ist die Herangehensweise – dieses infantilisierende Ritual, von Anbahnung, über Durchführung bis zur Dokumentation. Sicher gibt es vereinzelt gute Ansätze, wie Mitarbeitergespräche durchgeführt werden könnten. Was bei mir Übelkeit verursacht, ist, wie sie typischerweise gemacht werden.

Das bleibt pures Business-Theater, solange außen vor bleibt, welchen Dienst diese Gespräche für das gemeinsame Lernen über Wertschöpfung, Zusammenarbeit und Innovation liefern.

Was ich mir wünschen würde: Lasst echte Reflexion zu – ohne politisches Geplänkel. Zerknüllt den Gesprächsleitfaden und macht aus den exklusiven Zutaten, die euch zweifelsohne in eurem Unternehmen zur Verfügung stehen, wieder ein kulinarisches Highlight. Für eure Mitarbeiter, eure Kunden und eure Organisation.


Hinweis: Dieser Beitrag wurde erstmals im Jahr 2015 veröffentlicht und für die Neuauflage komplett überarbeitet.

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Wenn ihr selbst auch eine Anekdote zu Führung und Change erlebt habt, die es wert ist, hier erzählt zu werden, so schreibt Lars doch bitte an AufeinGlas@intrinsify.de.
Lars‘ Anekdoten oder Analogien, aus denen er selbst etwas zu moderner Arbeit, Führung, Change oder Organisation gelernt hat. Erzählungen die ihn zum Schmunzeln gebracht, ihn fasziniert und inspiriert haben oder ihm einen kleinen Schauer über den Rücken haben laufen lassen. Und dazu immer ein gutes Getränk.
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