Schon seit der Buchveröffentlichung von »Zurück an die Arbeit« bin ich häufig mit der subtil vorwurfsvollen Frage konfrontiert worden, ob die Menschen wirklich so stark an Business-Theater leiden, wie ich behaupte und ob man meine Publikationen auch als Aufruf gegen Arbeit im Allgemeinen verstehen dürfe.
Dazu möchte ich hier Stellung nehmen, so wie ich es auch schon im Buch getan habe. Meine These lautet: Mitarbeiter und ihre Chefs leiden nicht unter der Arbeit selbst. Auch dann nicht, wenn sie über ihren Job schimpfen oder am Feierabend im Familien- und Bekanntenkreis ihr tagtägliches Leid klagen. Nicht die Arbeit macht sie unfroh. Sondern das ganze andere Zeugs!
Denn das ganze andere Zeugs, also die unproduktiven Beschäftigungen, die lästigen Rituale, die nicht zu den Problemen passenden Regeln, das Reporting, die wirkungslosen Programme und so weiter haben nicht nur die Eigenschaft, dass sie euch die Zeit zum Arbeiten stehlen, sie haben außerdem noch die unangenehme Eigenschaft, ständig das implizite Signal auszusenden: IHR seid nicht richtig so, wie ihr seid. Ihr solltet anders sein. Ihr solltet besser sein! Jetzt MACHT endlich!
Ich sehe das so: Die meisten Menschen, die einen Job haben, mögen ihn sehr gerne. Sie haben ihn sich schließlich aufgrund ihrer Neigungen und Fähigkeiten meist freiwillig ausgesucht. Und sie sind definitiv nicht von Natur aus faul, sondern sie arbeiten gerne – oder besser gesagt, sie würden gerne arbeiten, wenn man sie denn ließe.
Der Müll des Müllmanns
Da macht es auch keinen Unterschied, in welcher Branche oder auf welcher Hierarchiestufe ein Mensch arbeitet. Ich erinnere mich an ein Video-Interview mit dem Mitarbeiter einer Abfallverwertungsgesellschaft im Außendienst, also mit einem Müllmann.
Der Grund, warum sich manch ehrbare Bürger kaum trauen, das Wort »Müllmann« auszusprechen und lieber eine distanzierende Worthülse dafür verwenden, ist der gleiche Grund, warum eine der Fragen, die dieser Müllmann vor der Kamera beantworten sollte, lautete: „Wie oft haben Sie schon gelogen, wenn jemand Sie auf einer Party nach Ihrem Job fragt?“
Oh, wie arrogant! Dahinter steht die Annahme, dass dieser Job ja nun wirklich ein Scheißjob sein muss.
Aber welch Überraschung für den Fragesteller! Der Müllmann sagte: „Ich muss gar nicht lügen! Ich mag meinen Job wirklich gerne.“ Und er kann auch schlüssig erklären, wieso: Er hat zwar ein festes Tagespensum, aber die Einteilung bleibt ihm selbst überlassen. Ich höre da raus: Freiheit, das ist cool.
Und er ist immer draußen, an der frischen Luft. Nun gut, man mag darüber streiten, ob die Luft des bürgerlichen Abfalls tatsächlich als ›frisch‹ durchgeht. Aber egal, es sind ja seine Worte. Und ich denke mir: Nochmal Freiheit, nochmal cool. Und er tut etwas Sinnvolles. Etwas, wovon alle Menschen einen Nutzen haben. Müllmann sein, das ist für ihn der coolste Job auf der Welt!
Bei so viel unerwarteter Begeisterung muss der Journalist natürlich nachhaken, ob das denn nun bedeutet, dass er mit seinem Job rundum zufrieden ist?
Die Antwort ist eine erneute Überraschung: Nein, er ist derzeit überhaupt nicht zufrieden!
Und warum nicht? – Weil sich jetzt so ein junger Disponent immer einmischt und bestimmt, welche Touren angeblich besser sind, und jetzt haben sie diesen neuen Laster bekommen, mit dem es viel schwieriger geworden ist, durch die engen Straßen zu kommen und und und …
Sinnlose Arbeit erzeugt Leiden
Völlig egal, in welcher Branche oder in welcher Hierarchie- oder Gehaltsstufe ihr nachschaut: Das, was stört, ist fast nie die Arbeit. Denn Menschen wollen produktiv sein und etwas Sinnvolles schaffen. Was stört, sind vielmehr immer die Bedingungen der Arbeit, also der institutionelle Rahmen, der zur Verfügung gestellt wird. Menschen leiden unter dem Arbeitsumfeld. Solltet ihr derzeit unzufrieden sein, schaut zuerst auf diesen Faktor. Denn damit fängt das ganze Business-Theater an. Plötzlich müsst ihr mitspielen, anstatt euren eigentlichen Job zu machen.
Und dann habt ihr höchstens noch die Wahl, euch die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit so zu Herzen nehmen, dass ihr im Burnout landet, sprich: euch halb zu Tode stresst, oder ob ihr euch innerlich angesichts der Wirklichkeit so weit von eurem Anspruch distanziert, dass ihr im Boreout landen, sprich: euch halb zu Tode langweilt.
Genau dafür haben Mark Poppenborg und ich 2010 intrinsify gegründet, genau das treibt uns an: Wir sorgen für mehr echte Arbeit und weniger sinnlose Beschäftigung.
Hinweis: Dieser Beitrag wurde erstmals im Juli 2016 veröffentlicht und für die Neuauflage komplett überarbeitet.