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5 Tipps

Überlebt Ihr die nächste Krise?

Wie können sich Unternehmen auf das Unerwartete vorbereiten?
Indisches Essen auf einem Tisch drapiert.
Lars Vollmer
Mit Überraschungen kann nur umgehen, wer vorbereitet ist
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5 Tipps mit denen sich Unternehmen auf das Unerwartete vorbereiten können

Dieser Artikel wurde am 16. Juli 2019 überarbeitet

Niemand will in guten Zeiten über die schlechten reden? Niemand! Und gerade hier bei intrinsify, wo es um happy working people und die aussichtsreichen Zukunftsperspektiven geht, scheint eine Beschäftigung mit dem Unverhofften fast fehl am Platz.

Dabei wissen wir doch alle wie schnell es gehen kann. Zack, 40% Umsatzeinbruch. Ohne, dass man selbst irgendetwas „falsch“ gemacht hätte.

Die letzte große Wirtschaftskrise liegt über 10 Jahre zurück. Da sich an den Rahmenbedingungen unseres Wirtschafts- und Finanzsystems aber nicht wirklich viel geändert hat, könnte man schon einmal skeptisch werden, wie lange es noch gut gehen kann.

Zwei Dinge sind immerhin wahrscheinlich:

  1. Es wird nahezu unmöglich sein festzustellen, wann und wie groß die nächste Krise sein wird. Wir wissen nur, dass die Krisen in der Vergangenheit im Schnitt alle acht Jahre stattfanden.
  2. Je länger wir auf die Krise warten, desto größer dürfte sie ausfallen.

Ich finde, das rechtfertigt eine Beschäftigung mit diesem düsteren Thema – auch hier bei intrinsify. Oder vielleicht gerade hier, damit wir die schlimmsten Szenarien abwenden können.

In einem vorbereiteten Unternehmen gibt es schließlich mehr happy working people als in einem unvorbereiteten.

Was kann man also tun, um sich schon heute auf einen ungewünschten aber wahrscheinlichen Crash in der Zukunft vorzubereiten? Darum soll es in diesem Artikel gehen.

Und um ehrlich zu sein: Auch ohne Crash dürften diese Maßnahmen den meisten Unternehmen wirtschaftlich gut tun.

5 Tipps um besser mit der nächsten Krise umgehen zu können

Ein Quereinstieg: Stelle Dir vor wir Menschen hätten nur eine Niere, einen Lungenflügel, eine Gehirnhälfte (wir können ohne dramatische Einschränkungen durchaus mit einer Gehirnhälfte leben) und wären auf eine stabile Umgebungstemperatur von 19°C „ausgelegt“. Das wäre sehr effizient.

Oder stelle Dir vor ein Apfelbaum hätte nur einen Apfel und in diesem Apfel wäre nur ein Samen. Das würde zur Fortpflanzung ja eigentlich ausreichen. Sehr effizient.

Wenn wir die Natur dem traditionellen ökonomischen Denken überlassen würden, dann wäre es vielleicht genau so. Wer weiß, dann gäbe es vielleicht zwischen mehreren Menschen sogar nur eine geteilte Zentralniere.

Doch hätte man in der Vergangenheit in der Natur versucht, die Kosten auf diese Weise zu senken und den Gewinn zu maximieren gäbe es weder uns Menschen noch leckere Äpfel.

Denn Menschen mit nur einer Niere, einer Gehirnhälfte, einem Lungenflügel und ohne „Thermostat“ gibt es (von Ausnahmefällen abgesehen) deshalb nicht, weil sie es nie bis hierher geschafft haben.

Vielleicht gab es sie mal, also in Form von Mutationen, aber sie haben sich nie durchgesetzt. Sie kamen mit den Überraschungen nicht klar. Wenn nur eine Niere den Geist aufgab, war es vorbei. Deshalb hatten die mit zwei Nieren die Nase vorn.

Die Menschen mit zwei Nieren mussten natürlich mehr Energie für diese Redundanz aufwenden – deshalb gibt es wohl auch keine Menschen mit 8 Nieren – aber die Redundanz hat sich ausgezahlt.

Genauso verhält es sich mit dem Apfelbaum. Apfelbäume mit nur einem Apfel und einem Samen im Apfelkern haben es nicht bis hierher geschafft. Stattdessen sind es Hunderte pro Baum geworden.

Überlebensfähigkeit durch Redundanz – ein Erfolgsrezept?

Du weißt schon worauf ich hinaus will. Was dem Controller ein Dorn im Auge ist, sorgt in der Natur fürs Überleben.

Netter Vergleich, denkst Du jetzt vielleicht. Aber so wie Fußballmannschaften keine Teams im Unternehmen sind kann man die Natur doch auch nicht mit dem Markt vergleichen, oder?

Schon klar, jede Analogie hat ihre Grenzen (sonst bräuchte man sie nicht). Aber Märkte sind durchaus mit der Natur vergleichbar. Überhaupt hat die Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten erstaunlich viele Parallelen in den Wirkmechanismen zwischen organischen und sozialen Systemen feststellen können.

Märkte sind Wettbewerbssysteme, in denen es ausschließlich um das Überleben geht. So wie die Natur auch. Es überlebt, wer angepasst ist, nicht wer effizienter ist.

Und mehr noch: Die Natur hat einen cleveren Mechanismus entwickelt, den Nassim Taleb Antifragilität nennt. Damit meint er die Eigenschaft, dass Systeme als Folge von Stresseinwirkung Vorkehrungen für die nächste Stresseinwirkung treffen.

Muskelaufbau ist dafür ein gutes Beispiel. Anstatt nach einem Stressimpuls den Ursprungszustand wiederherzustellen, überkompensiert der Körper und trifft durch einen gestärkten Muskel Vorkehrungen für einen noch heftigeren Stressimpuls.

Was können Unternehmen von dieser cleveren Einrichtung der Natur lernen, damit sie in der Krise besser gerüstet sind?

Tipp #1: Geschäftsmodelle überprüfen

Das Geschäftsmodell eines Unternehmens ist wie die Nahrungsquelle eines Tiers in der Natur. Wenn eine Überschwemmung, ein Sturm, eine Dürre, eine Herde anderer Tiere oder sonst irgendein Ereignis den Zugang zu dieser Nahrungsquelle abschneidet, ist das Überleben bedroht.

Deshalb verlassen sich viele Tiere nicht nur auf eine Nahrungsquelle, sondern auf mehrere.

Folgende Fragen sollte sich ein Unternehmen deshalb im Hinblick auf eine mögliche Krise stellen:

  1. Was ist die Grundlage meines Geschäftsmodells?
  2. Was für eine Art von Krise bräuchte es, damit diese Grundlage bedroht wäre?
  3. Habe ich andere Geschäftsmodelle?
  4. Wenn ja: Ist die Grundlage dieser anderen Geschäftsmodelle dieselbe wie mein Hauptgeschäftsmodell?
  5. Welche weiteren Geschäftsmodelle wären mit den Kernkompetenzen meines Unternehmens realisierbar, die aber auf einer anderen Grundlage basieren?

Auf Basis einer solchen Geschäftsmodellkonsolidierung können nun die nächsten Schritte geplant werden und zum Beispiel mittels des Lean Startup Ansatzes (mehr dazu hier oder hier) neue Geschäftsmodelle validiert werden. So sorgt man in guten Zeiten für die schlechten vor.

Tipp #2: Liquidität aufbauen

Tiere, die damit rechnen müssen, lange auf Nahrung verzichten zu müssen, bauen Reserven auf. Manche Tiefsee-Haie überleben ein ganzes Jahr lang ohne eine Mahlzeit.

Die Fettreserven der Natur sind die Liquiditätsreserven der Wirtschaft.

Für jeden Unternehmer gehört der Blick auf die eigene Reichweite zur Selbstverständlichkeit.

Wie lange kann Dein Unternehmen überleben, wenn ab heute mit keinem weiteren Umsatz zu rechnen ist?

Die Antwort auf diese Frage sollte man kennen. In kleinen Unternehmen ist sie allgegenwärtig. In der Berliner Gründerszene kennt man die eigene Reichweite nicht nur, dort schmückt man sich sogar mit der Kennzahl, die für ihre Kürzung sorgt: die Burn-Rate.

 

Die Burn-Rate ist nichts anderes als die monatlichen Fixkosten. Teilt man das eigene Liquiditätspolster (die Ersparnisse also) durch diese Fixkosten erhält man die Reichweite, typischerweise ausgedrückt in Monaten.

Ich kenne Unternehmen mit einer Reichweite von 3 Tagen. Ich habe mich nicht verschrieben: 3 Tage. Wenn dort innerhalb von 3 Tagen kein Umsatzeingang verzeichnet wird, ist man pleite.

Andere Unternehmen haben eine Reichweite von einem oder manchmal sogar mehreren Jahren, was eher ungewöhnlich ist.

Tatsache ist: Je höher die Reichweite, desto besser lässt es sich mit unerwarteten Überraschungen umgehen.

Und deshalb sollten Unternehmen in Erwägung ziehen, eigene Liquiditätspolster aufzubauen.

Doch das muss nicht für jedes Unternehmen der ideale Weg sein. Wer mit seinem Kapital renditestark reinvestieren kann, wird sich damit schwer tun. Dafür bietet sich die dritte Alternative an.

Tipp #3: Langfristige Verbindlichkeiten reduzieren

Viele Unternehmen gehen langfristige Verbindlichkeiten ein, um ein paar Prozent auf der Kostenseite zu sparen, Exklusivrechte zu gewinnen oder andere Sicherheiten zu gewährleisten.

So attraktiv und verlockend solche Verbindlichkeiten kurzfristig sein mögen, so unbeweglich und krisenunsicher machen sie ein Unternehmen oft.

Die Geschwindigkeit mit der ein Unternehmen seine unmittelbaren oder mittelbaren Fixkosten reduzieren kann ist ein großer Hebel für den Umgang mit unerwarteten Überraschungen und Krisen.

Hier sollte jede Art von Verträgen in den Blick genommen werden. Die Verträge mit Lieferanten, Kunden, Partnern und Mitarbeitern. Ja, bitte auch die mit Mitarbeitern.

Unbefristete Arbeitsverträge gelten bei uns als anständig. Wer seine Mitarbeiter hingegen befristet einstellt, beutet sie aus. So heißt es jedenfalls oft. Ich kann mit dieser Argumentation nur wenig anfangen. Genauso wenig wie mit dem Kündigungsschutz.

Hier wird ein kurzfristiger Nutzen des Arbeitnehmers vor den langfristigen Nutzen aller Arbeitgeber UND Arbeitnehmer gestellt.

Ich bin der Meinung: Durch den kulturellen oder gesetzlichen Zwang zu unbefristeten Arbeitsverträgen

  • steigen die Einstiegsbarrieren für Arbeitslose, weil Unternehmen systemisch gezwungen sind, „vorsichtiger“ einzustellen.
  • steigt durch diese Vorsicht die Belastung der bereits Eingestellten, weil sie die Arbeit für diejenigen machen, die man sicherheitshalber auch in Hochzeiten nicht einstellt
  • steigt die Wahrscheinlichkeit, dass unter dem gesetzlichen Radar viel prekärere Arbeitsverhältnisse entstehen
  • sinkt die für diesen Artikel zentrale Fähigkeit der Krisenfähigkeit, weil man in schlechte Zeiten nicht flexibel ist
  • sinkt die ständige Reflexion über Leistung und Gegenleistung und damit das Bewusstsein für die Grundlage eines jeden Beschäftigungsverhältnisses
  • und damit sinkt wiederum das, was wir uns alle voneinander wünschen: mehr Unternehmertum und mehr unternehmerisches Denken bei den Mitarbeitern, die sich nicht als Pflichterfüller wahrnehmen sollten, sondern als Teil einer Leistungsgemeinschaft.

Ich glaube, wenn wir in der Lage wären die positiv getönten moralischen Sichtweisen auf langfristige Verbindlichkeiten zu überdenken, könnten wir sowohl für die Unternehmen als auch für die Mitarbeiter Verhältnisse schaffen, die unserer dynamisch gewordenen Welt gerechter werden.

Und genau das würde zu mehr Krisensicherheit bei den Unternehmen führen.

Tipp #4: Business-Zellen statt Abteilungen

Eine große Schwäche der traditionell geführten Organisation ist ihr Aufbau. Abteilungen sind funktionale Silos. Sie erfüllen Aufgaben ähnlichen Typs sehr effizient.

Doch wenn ein Geschäftsfeld des Unternehmens in die Krise gerät wird dadurch das ganze Unternehmens ins Ungleichgewicht gebracht.

Die Abhängigkeiten in einer auf Effizienz getrimmten Abteilungsorganisation sind so hoch, dass sie äußert anfällig und fragil auf Veränderungen reagiert.

Eine traditionell geführte Abteilungsorganisation ist wie ein Amt: Sehr gut geeignet zur Administration der Norm. Doch sehr ungeeignet für den Umgang mit der Ausnahme.

Deshalb sind Unternehmen gut beraten, ihre Organisation zu hinterfragen. Ein Unternehmen, das sich nicht in Abteilungen sondern in teilunabhängigen Zellen organisiert, die jeweils einen Teil des Geschäfts bearbeiten, sind deutlich besser in der Lage, mit Überraschungen umzugehen.

Eine Zelle ist für ihr Geschäft verantwortlich und wird nicht zentral gesteuert. Damit kann sie sich dynamisch an den Markt anpassen und entwickelt Eigenarten, die andere Zellen nicht haben.

Eine solche, der Natur nachempfundene Organisation, ist deutlich ineffizienter. Doch Effizienz ist längst nicht mehr das einzige Maß für Wirtschaftlichkeit.

Im Gegenteil, gegenüber Qualität, Geschwindigkeit, Flexibilität, Beziehungserleben etc. ist Effizienz in vielen Unternehmen in den Hintergrund gerückt – daran ändern auch die Narrative nichts, die man sich im Management als Grundlage für Entscheidungen erzählt.

Für solche Zellenorganisationen gibt es viele Beispiele in der Praxis. Gerne zitiert werden Unternehmen wie dm, Handelsbanken, Semco, W.L. Gore u.ä.m.

Was sich bei allen diesen Unternehmen ähnelt: In den Zellen sind nahezu alle Kompetenzen vereint, die es benötigt, um direkt am Markt Geschäft zu generieren.

Stirbt eine Zelle, leben die anderen weiter. Eine sehr krisensichere Organisation.

Tipp #5: Aktive Vorbereitung

In Branchen, bei denen eine Überraschung Menschenleben kosten kann, ist gute Vorbereitung eine Selbstverständlichkeit. Die Feuerwehr spielt laufend Szenarien durch, die unter Umständen nie eintreten werden. Piloten werden für Extremfälle trainiert, die nahezu ausgeschlossen sind.

Es wird auch Ausrüstung angeschafft, die wohlmöglich nie gebraucht wird. Es wird also sowohl Geld als auch Zeit investiert, um reihenweise Redundanzen aufzubauen.

Was in den Augen einer effizienzgetriebenen Managementdenke pure Verschwendung ist, stellt auch unter Extremsituationen das Überleben sicher.

Vorbereitung unterscheidet sich von Planung insofern, als dass für unterschiedliche Zukunftsszenarien echte Vorkehrungen getroffen werden. Es wird also nicht nur gedacht, sondern es wird gemacht, investiert und gearbeitet.

Während Planung nur Pläne erzeugt, erzeugt Vorbereitung Fitness und damit eine Möglichkeit schnell und flexibel auf Unerwartetes zu reagieren.

Konkretes Beispiel: Eine Produktionsfirma, die immer wieder mit Überraschungen umgehen muss, reserviert freie Kapazitäten in Form von kleinen Maschinengruppen, die in der Regel still stehen, aber gelegentlich Sonderaufträge oder Auftragsspitzen abdecken.

Ein weiteres Beispiel im Hinblick auf eine echte Krise: Ein Dienstleistungsunternehmen hat sich während der Boom-Phase als Bildungsträger zertifizieren lassen, um für den Krisenfall von der Arbeitsagentur geförderte Trainings anbieten zu können, die der beruflichen Wiedereingliederung oder Weiterbildung dienen sollen.

Derlei Beispiele gibt es unzählige und sie alle haben etwas gemeinsam: Es wird etwas getan, das unter allen Gesichtspunkten der Effizienz Verschwendung darstellt und sich unter Umständen auch nie auszahlen wird.

Fazit

Für jedes Unternehmen, das sich nicht den systemischen Zwängen kurzfristiger Gewinnmaximierung ausgesetzt sieht, in der also der Unternehmer selbst noch die Zügel in der Hand hat, hat dieser Artikel hohe Relevanz.

Denn hier können und sollten sich alle Mitarbeiter berufen fühlen, einen Beitrag für eine Zukunft zu leisten, die nicht bekannt ist.

Und das wiederum bedingt, dass das Management nicht nur die Arbeit fördert und anerkennt, die unmittelbar auf das Ergebnis im nächsten Monat einzahlt, sondern auch Investitionen in eine unsichere Zukunft ermöglicht.

Das kann aktiv geschehen, indem konkrete Projekte und Arbeitsgruppen initiiert werden. Aber auch passiv, indem auf interne Anreizung verzichtet bzw. diese wieder abgeschafft wird.

Damit bekommen die Mitarbeiter überhaupt erst die Möglichkeit, zusammenzurücken und den Blick über den Tellerrand ihres Bereichs hinaus erweitern zu können, ohne sich dabei schlecht fühlen zu müssen.

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Hallo Mark,

zu den befristeten Beschäftigungsverhältnissen habe ich eine andere Meinung als du. Wenn wir über mehr Befristung nachdenken, sollten wir aus einer Branche lernen, in der das verheerende Folgen hatte. Ich habe 10 Jahre in der Hochschulforschung (Biomedizin) gearbeitet und dort gibt es für Wissenschaftler abgesehen von Professuren ausschließlich befristete Stellen. Das hat dazu geführt:

• Menschen werden auf Staatskosten gut ausgebildet und dann auf die Straße gesetzt. Denn nur Professuren sind unbefristet. Wenige schaffen es auf eine Professur, alle anderen bekommen nach maximal 12 Jahren keinen Vetrag mehr. Dann sind sie 35-40 Jahre alt.

• Wissenschaft wurde zum Haifischbecken. Denn viele Menschen kämpfen um Stellen und Forschungsgelder. Das unerbittliche Leistungs-Prinzip bringt die schlechte Seite in den Menschen hervor.

• In der Wissenschaft hat man kaum Privatleben, denn jeder arbeitet Tag und Nacht daran, irgendwelche publizierbaren Forschungeergebnisse zu haben. Die Devise ist „Publish or Perish“. 12-14 Stunden am Tag sind normal, 6-Tage-Wochen auch.

• Unendliche Bürokratie. Ich war fast immer damit beschäftigt, für meinen Chef Anträge auf Forschungsgelder zu schreiben, Genehmigungen für Sicherheits-Labors etc. einzuholen, Begutachtungen vorzubereiten usw. Da war es manchmal schwer, noch Zeit fürs Labor zu finden. Ohne Forschungszeit konnte ich nicht publizieren und ohne Publikationen hatte ich keine Chance.

• Die Qualität der Arbeit ist massiv gesunken. Denn klappt das mit den Ergebnissen nicht, dann wird im Notfall nachgeholfen. Es gab in den letzten 20 Jahren einige Skandale zu gefälschten Doktorarbeiten und Publikationen, doch das ist nur die Spitze des Eisberges. Ich habe selber mehr als einmal erlebt, wie Kollegen ihre Egebnisse geschönt haben und mehr als eine Kooperation gehabt, in der die Kollegen sich allzu wenig um die experimentelle Qualität ihrer Arbeit gekümmert haben. Sie alle waren keine schlechten Menschen, sondern befanden sich in einem schlechten System.

• Wer nicht genial ist, braucht einen mächtigen Mentor. Das führt zu beruflicher Abhängigkeit. Abhängige Menschen müssen sich verbiegen, um zu überleben. Sie widersprechen nicht, sie kämpfen nicht für die eigene Überzeugung. Damit verliert das System die Fähigkeit zur Selbstkorrektur.

• Menschen, die nicht genial genug sind, keinen mächtigen Mentor finden und nicht unverschämt viel Glück haben macht dieses System kaputt. Familie können vor allem die Frauen vergessen. Es sei denn, der Lebenspartner hat eine sichere (unbefristete) Stelle.

Ich sehe deine Gedanken hinter deiner Argumentation, denn auch ich habe erlebt, dass ein Unternehmen nicht eingestellt hat, obwohl es viel zu tun gab. Befristung ist für mich jedoch keine Lösung.

Viele Grüße,
Wiebke

Hallo Mark,

Es gibt ja schon eine Antwort auf die provokative Forderung, nicht mehr unbefristet einzustellen. Ich möchte sie mal aus Unternehmersicht (der ich ja nun auch lange Jahre war) ergänzen. Ich habe nie befristet eingestellt.. Warum? Weil ich an langfristiger Zusammenarbeit interessiert war. Ich gebe Vertrauen und ich bekam Vertrauen. Wenn es nicht funkte, gab es die Probezeit, die ja nun ausreichen sollte. Und was für einen Vorteil habe ich als Unternehmer? Es gibt Kündigungsfristen (die sind bei befristeten Arbeitsverträgen, kurzfristig betrachtet, ja gar nicht vorhanden. Habe ich auf z.B. 2 Jahre eingestellt, habe ich ein Problem, zu entlassen. Ich lege mich auf 2 Jahre fest). Kündigungsfristen sind kaum länger als ein halbes Jahr. Wenn ich das nicht überblicken kann, sieht es ja nach Deiner eigenen Argumentation ja eh schlecht um mich als Unternehmen aus. Viele argumentieren dann mit Abfindungen: die werden aber gar nicht fällig, wenn ich keine Reserven dafür habe. Also sie zwingen einen nicht in den Ruin. Schließlich wird mit der Sozialauswahl argumentiert. Man müsse die Falschen entlassen. Also die jüngeren, zuletzt eingestellten etc. Hier gibt es viele Möglichkeiten in der modernen Personal- und Arbeitsmarktpolitik sowohl für das Unternehmen als auch für die Mitarbeiter gute Lösungen zu finden.
Ein zentrales Problem ist es, dass der Umgang mit Entlassungen ein Tabu-Thema ist und mit Deinem Vorschlag auch bleiben wird. Kündigungen werden nur als arbeitsrechtliches Problem behandelt, nicht als normaler Bestandteil des HR-Managements, so wie Personalentwicklung u/o Einstellungen. Da liegt das eigentliche Problem und durch Deinen Vorschlag wird es auch so bleiben.

Das nur als e i n Argument, ergänzend zu denen von Wiebke.

Viele Grüße
Thomas

Ein spannender Aspekt bei den befristeten Arbeitsverhältnissen ist, wie lange die Anstellung befristet werden soll. Ein Jahr oder zwei Jahre und wie soll die Verlängerung aussehen? Wie wird dann die Leistung gemessen und wer trägt die Verantwortung bei Nichterfüllung? Wahrscheinlich wieder an dem Zeitaufwand je Werkstück. Auf jedem Fall als Festpreis mit vorhergehender Aufwandsschätzung. Denn auf Bezahlung bis das Werkstück fertig ist, will sich so richtig keiner einlassen. Und irgendwie fühlt sich das nicht nach neuer Arbeit an. Und es setzt auch wieder die Austauschbar- und Messbarkeit von menschlicher Leistung voraus.

Als im Zuge der Industralisierung an die Stelle vom Tausch von Waren und den von Geld gegen Waren, der Tausch von Geld gegen Lebenszeit trat, haben wir den Grundstein für das Misstrauen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gelegt. Alle Praktiken, die wie zum Beispiel die aus dem Taylorismus hervorgegangenen REFA als auch Zielvereinbarungen und balanced Scorecards, lassen sich auf die Abhängigkeit zwischen verkaufter Lebenszeit und Geld zurückführen.

Karl Marx stellte dazu schon die Frage, warum sich, wenn durch eine höhere Effizienz anstelle von einem, zwei Stücke in einer Zeiteinheit gefertigt werden, sich der Preis dafür nicht halbieren würde. Er benutzte dafür den Begriff Gebrauchswert, an dessen Ertrag dann der Arbeitgeber profitiert. Um dem dadurch entstehendem Risiko des Missbrauch des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber, dessen berechtigtes Interesse es ist, den maximalen Ertrag für den Geldeinsatz für Menschenkraft zu erzielen, wurden Gewerkschaften zum Schutz des Arbeitnehmers gegründet und Tarifverträge entwickelt. Um den Personaleinsatz planbar zu machen, hat der Arbeitgeber dann genau seine Erwartungshaltung in Form von Stellenbeschreibungen beschrieben und versucht damit, den Arbeitnehmer austauschbar zu machen. Wenn man sich die Stellenausschreibungen anschaut, kann man verstehen, warum sich die gut ausgebildeten Fachkräfte darauf nicht bewerben. Aber das ist ein anderes Thema.

Solange es keine Idee gibt, wie man den Misstrauenseffekt bei dem Tausch Zeit gegen Geld auflösen kann, bin ich sehr froh, dass wir einen guten Kündigungsschutz haben. Zumal den Unternehmen mit der betriebsbedingten Kündigung durchaus ein Mittel für Krisenzeiten zur Verfügung steht. Die Auflösung dieser Abhängigkeit halte ich sogar für die Voraussetzung für das Gelingen einer neuen Wirtschaft.

Ich würde auch noch als ein Merkmal von krisenfesten Organisationen sehen, dass sie das Thema kleine Losgrößen, bis hin zu Losgröße 1 gut im Griff haben.

Danke für deinen Artikel Mark! Ich stimme dir bezüglich der befristeten Verträge zu. Anstatt einen lebenslangen Arbeitsvertrag zu „garantieren“ sollten Arbeitgeber sich besser dazu verpflichten ihre Mitarbeiter zu fördern, damit diese für den Arbeitsmarkt immer interessant bleiben und im Ernstfall schnell eine neue Anstellung finden können. In den Niederlanden heißt das dann „Duurzame Intzetbarheid“. Die Arbeitnehmer schauen eigenständig, was sie für den Arbeitsmarkt brauchen und der Arbeitgeber unterstützt aktiv dabei (z.B. durch Geld, Freistellungen, Training, guten Arbeitsumgebung etc.), dass der Arbeitnehmer lange einsatzfähig bleibt. So bleiben Arbeitgeber und Arbeitnehmer flexibel und das, oft nicht zu haltende, Versprechen vom unbefristeten Vertrag hat ausgedient.

Ihr bereichert die Debatte um wertvolle Beiträge, die wir u.a. in Dortmund beim Wevent weiter diskutieren werden. Da passt es ja wie die Faust aufs Auge. Ich glaube wir sollten Wissenschaft und Wirtschaft nicht in einen Topf werfen. Das sind zwei unterschiedliche gesellschaftliche Systeme. Und auch was die Argumentation von Zeit != Geld angeht bin ich sofort dabei, hat aber hier weniger mit zu tun, wie ich finde. Also das Thema bleibt streitbar. Danke, dass Ihr mit streitet.

Interessanter Artikel. Um zur Debatte noch beizutragen: Du startest den Beitrag damit, zu sagen, dass die Natur uns z.b. mit 2 Nieren ausstattet und nicht nach dem Effizienz Prinzip geht. Befristete Arbeitsplätze zu schaffen klingt wiederum eher nach einer effizienzgetriebenen Strategie. Gerade in Krisenzeiten ist es vielleicht eher wichtig die gesamte Kraft die man hat zu bündeln um neue Wege einschlagen zu können, statt Leute aus Kostengründen zu entlassen, die eine kostbare Ressource zur Bewältigung der Krise darstellen könnten. Nach dem Motto: Krisenmanagement vernichtet das, was es retten soll.

Hi Clara. Mir geht es um die Förderung eines Leistungs- und Verantwortungsbewusstseins. Dazu tragen symmetrische Schnittstellen bei. Es geht also um Effektivität, nicht um Effizienz. Im Gegenteil, ich möchte dafür sorgen, dass eine Leistungsbeziehung immer wieder auf die Probe gestellt und neu verhandelt werden muss. Das ist nicht effizient, aber meiner Meinung nach hochgradig robust.

Hallo Mark,

Wissenschaft und Wirtschaft sind verschiedene Systeme. Da stimme ich dir zu. Allerdings wird Wissenschaft von abhängig Beschäftigten geleistet, für die Wissenschaft auch ein Beruf ist, von dem sie leben müssen. Ein Unterschied ist, dass die Chefs nicht kündbar sind. Der Wettbewerb um Forschungsgelder hat wieder wirtschaftliche Züge. Nur wer die Geldgeber (Kunden) überzeugt, hat Geld.
Insofern gibt es eine Überscheidung der Systeme. Die Beobachtungen aus der Wissenschaft lassen sich nicht 1:1 auf die Wirtschaft übertragen. Beobachten und daraus lernen sollten wir dennoch. Ich halte es für gefährlich, das komplett zu ignorieren.

Viele Grüße,
Wiebke

Ich sehe auch, dass viele Unternehmen auf eine Krise schlecht vorbereitet sind. Allerdings sehe ich das größte Dilemma darin, dass es in den Unternehmen nur wenige – und dann „alte“ – Mitarbeiter gibt, die wissen, wie sich Krise im Arbeitsleben und am Arbeitsplatz anfühlt. Wie soll ein Sonnenschein Manager oder Leader gemeinsam mit Sonnenschein Zellen oder Teams eine Krise bewältigen.

Den Vergleich mit der Tierwelt finde ich nur bedingt gelungen. Wenn diese als Beispiel herhalten soll, dann aber bitte auch konsequent. In Krisensituationen rennen Tiere in der Regel weg oder sie verfallen in Schockstarre. Das stärkste Tier beißt das Schwächste weg oder tötet es. Ein Tier hat idR das Sagen – und alle anderen folgen oder müssen die Herde, das Rudel verlassen. Egal wie man das in das Berufsleben übersetzen will – wir Menschen verhalten uns im gesunden Zustand sowohl privat als auch beruflich anders. Wir haben gelernt, dass ncht das Recht des Stärkeren gilt, sondern wir als Sozialwesen auch Verantwortung für Schwächere haben.

Ich sehe es sehr kritisch, wenn Errungenschaften für die im Berufsleben Jahrzehnte gekämpft wurde, nun dem Anspruch auf New Work geopfert werden sollen. M. E. kann ein Umdenken – egal ob Krise oder nicht – nur gelingen, wenn das Gute aus der Vergangenheit mit den Methoden der Neuzeit verknüpft wird. Und dazu gehört m. E. auch, dass befristete Verträge nur bedingt – so wie es auch derzeit rechtens ist – genutzt werden dürfen. Natürlich würde es anders besser für Unternehmen sein, aber die Praxis zeigt, was passiert – nicht nur in der Wissenschaft, sondern ebenso in der Industrie: Menschen werden jahrelang befristet direkt oder über Dienstleister beschäftigt. Sie werden idR schlechter bezahlt als die Stammbelegschaft, haben weniger Rechte und verbringen ihr Berufsleben mit der Unsicherheit innerhalb von kürzester Zeit arbeitslos zu werden.

Das Problem ist: Unternehmen sind keine Sozialeinrichtungen. Egal ob Konzern oder Start-Up – alle haben eines gemeinsam: sie wollen Geld verdienen, je mehr desto besser – für Aktionäre, Eigentümer oder Invstoren. Früher oder später geht diese Gewinnorientierung zu Lasten der Arbeitnehmer, die immer den schwächeren Part im Spiel haben. Sie gilt es daher zu schützen – auch im Rahmen von New Work und auch in Krisenzeiten.

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