Letzten Freitag fand unser lang ersehntes „Wir führen anders!“ Live-Event statt. Soweit ich es beurteilen kann, lief es ausgezeichnet. Es war für mich auffällig, wie extrem wohl ich mich durchweg auf der Bühne gefühlt habe. So wohl, dass ich versucht habe die Gründe dafür zu finden. Vorgestern fiel dann endlich der Groschen. Vielleicht interessiert Dich meine Erkenntnis – ich glaube sie hat generelle Relevanz.
Von der Kunst, eigene Muster zu unterbrechen
Selbstbeobachtung – dieses Wort war eines, dass sich wie ein roter Faden durch unser Event letzten Freitag zog. Immer wieder fiel uns im Thementalk und nachher in den Open Space Sessions auf, wie wichtig es ist, sich in den eigenen Routinen zu „erwischen“. Das gilt sowohl für Organisationen als auch für Individuen.
Ich war beeindruckt, wie meine drei Gäste dafür sorgen, dass die Selbstbeobachtung in den Betriebsalltag integriert, ja geradezu institutionalisiert ist. Und auch wie sehr sie sich selbst ständig reflektieren.
Gleichzeitig sind sie sich der Gefahr bewusst, dass aus Selbstbeobachtung eine ausufernde Selbstbeschäftigung werden kann. Auch das reflektieren sie ständig mit.
Selbstbeobachtung hat deshalb heute eine so große Bedeutung, weil Organisationen am laufenden Band von Widersprüchlichkeiten herausgefordert werden. Es braucht Innovation UND Beständigkeit. Es braucht Qualität UND schnelle erste Lösungen. Es braucht Geschwindigkeit UND Geduld usw.
Wo sich unterschiedliche Zwänge begegnen, entsteht Unsicherheit. Und wo Unsicherheit entsteht, macht sich die Verführung breit, einheitliche Regelungen treffen zu wollen, um diese Unsicherheit wieder zu absorbieren. „Jetzt lass uns das doch ein für alle Mal klären!“
In der „Sozialtechnologie“ Management ist diese Tendenz geradezu angelegt. Management will reduzieren, vereinfachen, trivialisieren, objektivieren.
Führungskräfte müssen sich also ständig darin üben, Grundsatzentscheidungen zu widerstehen. Damit will ich nicht sagen, dass es nie eine Grundsatzentscheidung braucht. Aber es kommt eben häufig auf den Einzelfall und gerade nicht auf den Regelfall an.
Um dieser Ambivalenz gerecht zu werden, ist Selbstbeobachtung unverzichtbar. Denn Kommunikationsräume, in denen diese Ambivalenzen verhandelt werden können, schützen vor dem Regelungsreflex.
Bei Individuen ist das nicht anders. Eigene Muster – Verzehr von viel Süßigkeiten; destruktive Beziehungsmuster etc. – überwinden wir, indem wir sie zunächst ins Bewusstsein rücken. Erst wenn sie uns bewusst sind, können wir bewusst mit ihnen umgehen.
So auch in Organisationen: Erst wenn die Selbstbeobachtung dafür sorgt, dass bestimmte Muster Teil der öffentlichen Diskussion werden, ist es möglich sie „zu benutzen“ und in Entscheidungssituationen auf sie zu verweisen. „Wir haben doch besprochen, dass wir nicht grundsätzlich entscheiden wollen, weil…“. Ohne solche Referenzen, ist die Organisation auf ihre bisherigen Muster zurückgeworfen und in der Regel zur Verfolgung etlicher Selbstzwecke verdammt.
Das Problem ist: So logisch das alles klingen mag, der Hang zur Eindeutigkeit und damit zum Selbstzweck lässt nie nach.
Verführung mit Ewigkeitswert
In meiner Keynote letzten Freitag wollte ich genau diese Erkenntnis in Form einer Anleitung zum Fremdzweck thematisieren. Da ist es an Zynismus kaum zu überbieten, dass ich in meiner Vorbereitung auf die Keynote in eben genau diese Falle getappt bin.
Seit Monaten wusste ich, dass ich für das Event eine Keynote vorbereiten musste. Eine grobe Idee hatte ich früh, doch dann schob ich die Vorbereitung immer wieder vor mir her. Nur den gelegentlichen Gedanken notierte ich.
Als die Zeit knapp wurde, stieg ich dann tiefer in die Vorbereitung ein und irgendwann stand dann am Montagabend auch ein Vortrag. Doch irgendwie fühlte er sich nicht rund an. Ich hätte mich damit nicht blamiert, das war mir klar. Deshalb beruhigte ich mich mit dem Gedanken, dass es ja bisher auch immer geklappt hatte. Doch das Unwohlsein blieb.
Und erst am Mittwochabend, zwei Tage vor der Veranstaltung, fiel es mir dann wie Schuppen von den Augen: Ich hatte mich bei der „Konstruktion“ des Vortrages so in einzelne Elemente und Geschichten verbissen, dass mir selbst entgangen war, worum es mir eigentlich ging. Die Mittel hatten sich wieder mal selbst zum Zweck erhoben.
Nachdem ich dann erstmal herzlich über mich selbst lachen musste, dauerte es nur noch wenige Minuten, bis ich genau wusste was ich sagen „musste“.
Meine Keynote war am Ende kein erfundenes Konstrukt, sondern eine Zusammenfassung meines wesentlichen Learnings aus 14 Jahren Arbeit in, an und mit Unternehmen. Dafür musste ich mich nicht verstellen, niemand sein, nichts inszenieren. Ich konnte einfach Worte für das wählen, was ganz natürlich aus mir herauskam. Und das erklärt für mich, warum ich mich auf dieser Bühne so wohl fühlte. Etwas pathetisch formuliert: Ich konnte ich selbst sein.
Um das zu können, musste ich mich aber eben vorher selbst kennen. Zumindest den für diesen Kontext relevanten Teil von mir. Und dafür – jetzt schließt sich der Kreis – braucht es eine intensive Selbstbeobachtung.
Future Leadership
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Und jetzt?
Schon beim ersten Satz von diesem Artikel hatte ich es befürchtet: das wird jetzt abstrakt. Und so ist es auch gekommen. Nur lässt es sich kaum vermeiden. Selbstbeobachtung und Musterunterbrechung ist eben gerade deshalb so wirkungsvoll, weil es kein Rezept dafür gibt, sondern nur Beispiele. Ein paar will ich deshalb zumindest noch nennen:
Mein Gast Daniel Pötzinger, GF bei der AOE GmbH berichtete davon, wie sie die Selbstbeobachtung in einem internen Organisationsentwicklungskreis betreiben und die Ergebnisse ihren Kollegen in Form von Selbstbeschreibungen zur Verfügung stellen. Das können Illustrationen, Texte oder Casual Loop Grafiken sein.
Fabian Schünke, GF bei der Herding GmbH Filtertechnik, erzählte von der Sprachhygiene, die sie im Management-Kreis benutzen, um die Vorgänge in ihrem Unternehmen so präzise wie möglich zu beschreiben und Missverständnisse bzw. Interpretationsvielfalt auf ein Minimum zu reduzieren. Wenn sie Team von Gremium unterscheiden, weiß jeder im Raum was gemeint ist und welche Dysfunktionalitäten sich damit adressieren lassen.
Oliver Sowa, GF bei der Beutelhauser-Gruppe, erzählte von seinen eigenen „Selbstgesprächen“, die er nutzt, um sich ständig selbst auf die Schliche zu kommen.
Mir selbst hilft die Verschriftlichung meiner Gedanken, weil sie mir immer wieder vorführt, wo ich im Schilf stehe und mich zu neuen Erkenntnissen führt.
Selbstbeobachtung erscheint mir eine Kunst zu sein. Und solange sie nicht selbst zum Zweck wird, ist sie eine unverzichtbare Zutat individuellen und organisationalen Erfolgs, deren Bedeutung kaum überstrapaziert werden könnte.