Ich droppe mal gleich zu Beginn den zentralen Satz: Die Sinngebungsmaschinerie unseres intuitiven Verstandes lässt uns die Welt geordneter, einfacher, vorhersagbarer und kohärenter sehen, als sie es tatsächlich ist. Die Illusion, man habe die Vergangenheit verstanden, füttert den Irrglauben, man könne die Zukunft vorhersagen und kontrollieren.
Puuh, das könnte von einem Professor kommen …
Was ich eigentlich damit sagen will:
Neulich bekam ich zum wiederholten Male eine Studie über die Erfolgsfaktoren von Unternehmen in die Hände. Allerneueste Wissenschaft darüber, was die wirklich und langanhaltend erfolgreichen Unternehmen auszeichnet. Wirklich fundiert und evident. Endlich glaubhaft.
Diese Bücher haben eine lange Tradition im westlichen Managementkanon. Das erste Buch dieser Reihe lief mir schon vor vielen Jahren von Tom Peters über den Weg. Der Titel: »Auf der Suche nach Spitzenleistungen« (1982). Der bekannteste Autor derartiger Wirtschaftsschmonzetten dürfte Jim Collins sein. Eines seiner Bestseller hat den Titel »Immer erfolgreich« (1994) und enthält eine gründliche Analyse von 18 Paaren konkurrierender Unternehmen, bei denen immer eines erfolgreicher war als das andere.
Seine Kernbotschaft: gute Führungspraktiken lassen sich eindeutig identifizieren und sie werden durch gute Ergebnisse belohnt. Ein Resultat, das jedem Manager schmeichelt, der in einem – für den Moment – erfolgreichen Unternehmen arbeitet und wohl jedem Mitglied eines weniger erfolgreichen Unternehmens ein paar Überstunden ›schenkt‹.
Erfolgsgeschichten sind oft nur schön erzählte Rückblicke
Aber in der Zeit nach Abschluss der Studie schwand der Abstand in Ertragskraft und Aktienrendite zwischen den herausragenden und den weniger erfolgreichen Firmen, die in »Immer erfolgreich« untersucht wurden, praktisch auf Null. Ein Schicksal, das nahezu alle Unternehmen teilen, die in einem der Best-Practice-Bestseller auf den Sockel gehoben wurden. Von wegen immer erfolgreich.
Wirklich ulkig wurde es dann anschließend: mit den Fakten konfrontiert, erstellten die Autoren und Befürworter der Studie sehr präzise Gutachten über die Ursachen des ökonomischen Verlaufs der Unternehmen. Sie führten sehr plausibel erscheinende Gründe für die neuere Entwicklung ins Feld, ohne zu realisieren, dass auch die vorherigen Kausalitäten keine tragfähige Perspektive boten, dass also Ursache-Wirkungs-Beziehungen in komplexen Umfeldern überhaupt keine Aussagekraft haben können.
Nur dichter Content, kein Gedöns. Versprochen.
Nicht die Gründe waren falsch, sondern die Annahme, es könne für das Ergebnis eines komplexen Systems eindeutige Gründe geben.
Die gleichen Parameter, die vorher die Ursache des Erfolges waren, wurden plötzlich umgedeutet in die vermeintlichen Schwächen. War beispielsweise der CEO vorher noch durchsetzungsstark, mutig und visionär, so wurde er mir-nichts-dir-nichts als autoritär, tollkühn und dickköpfig beschrieben.
Noch törichter empfinde ich nur noch den Glauben der Folge-Autoren, man müsse derartige Studien in Zukunft noch penibler betreiben, die KI hinzuziehen, noch mehr Daten und längere Zeiträume untersuchen, um die Kausalitäten wirklich richtig zu erforschen.
Geschichten über den Aufstieg und Fall von Unternehmen stoßen bei vielen Lesern wohl deswegen auf so hohe Resonanz, weil sie etwas anbieten, was der menschliche Intellekt liebt: Eine einfache Botschaft von Sieg und Niederlage, die eindeutige Ursachen identifiziert und die bestimmende Macht der Komplexität und des Zufalls ausblendet. Diese Geschichten lösen eine Illusion des Verstehens aus und vermitteln den Lesern, der sie nur allzu bereitwillig glaubt, Lektionen, die ihm keinen dauerhaften Nutzen bringen.
Hinweis: Dieser Beitrag wurde erstmals im Juni 2013 auf larsvollmer.com veröffentlicht und für die Neuauflage komplett überarbeitet.





Gibt es denn Faktoren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Misserfolg führen? Oder ist Misserfolg ähnlich komplex und somit nicht prognostizierbar?
Lieber Lars,
ein spannender Beitrag, der bei mir allerdings ein paar Fragezeichen hinterlässt.
Wenn, wie Du schreibst: „… die Annahme, es könne für das Ergebnis eines komplexen Systems eindeutige Gründe geben …“ falsch ist, dann … Ja was dann? Ist alles beliebig und im Sinne der Chaostheorie ohnehin unvorhersagbar? Oder gibt es vielleicht doch ein paar Erfolgsrezepte – und sei nur, dass man die Misserfolgsfaktoren vermeidet, die Christoph Betz in seinem Kommentar erfragt? Persönlich bin ich überzeugt, dass es Erfolgsfaktoren gibt, sicher mit zeitlicher und geografischer Limitierung. Märkte sind halt unterschiedlich.
Denn, man kann schließlich eine ganze Menge an Unternehmen identifizieren, die, zumindest gemessen an Börsenkurs, Dividende und Umsatz, teilweise seit Jahrzehnten erfolgreich sind. Der CEO eines großen Unternehmens in der Reinigungsbranche, für den ich arbeiten durfte, hat mal gesagt: „Die Methoden, mit denen wir von 1 Mrd € auf 2 Mrd € den Umsatz verdoppelt haben, können nicht die gleichen sein, mit denen wir den Umsatz erneut verdoppeln.“ Meine Erkenntnis daraus: Wandlungsfähigkeit ist wichtig und vielleicht dann doch der Kern. Ob man das als Methode/Grund für Erfolg interpretieren will, das überlasse ich Dir und den geschätzten Lesern dieses Kommentars.