Warum Du Deinen Kollegen womöglich systematisch unrecht tust

Wer Kollegen respektieren will, muss sie ignorieren

Wer anklagt, überhöht sich
Aus HR wird People & Organisation
Philipp Simanek
Aus HR wird People & Organisation
Wie gibt man einem anderen Mensch die Möglichkeit, zum Könner in einer Domäne heranzuwachsen? Kurz und knapp: Erst »Follow the rules« und danach »F*** the rules«. Ausführlicher erklärt Dir Lars Vollmer wie Du zum Könner wirst.
Lars Vollmer
Don't f*** the rules – Wie Du zum Könner wirst
Es ist verführerisch, den Unterschied zwischen Methoden und Könnern zu ignorieren. Lars Vollmer hat in den letzten Jahren Menschen kennengelernt, die das tun.
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Wer löst besser die wichtigen Probleme: Methoden/Rezepte oder Könner?
Partizipations-Theater in Agilen Organisationen Im Gespräch mit Daniel Pötzinger, CTO der AOE GmbH, und Philipp Simanek von intrinsify
Philipp Simanek
Partizipations-Theater in Agilen Organisationen
Mark hat lange daran gezweifelt, dass es den Fachkräftemangel gibt. Bisher vertrat er die These, dass der Mangel eigentlich nur der Rekrutierungsindustrie in die Karten spielt. Was ist also tatsächlich dran am Mythos „Fachkräftemangel“?
Mark Poppenborg
War for Talents

Die Tür öffnet sich und ein gut gekleideter und leicht unsicher wirkender Mann betritt den Meetingraum, in dem ich es mir bereits bequem gemacht habe. Ich sitze an einem Tisch, vor mir ein DIN A5 Block und ein Stift. Daneben der aufgeklappte Rechner mit Notizen.

Ich bitte ihn, sich hinzusetzen. Ich versuche durch eine möglichst freundliche Ansprache die Stimmung im Raum ein wenig zu lockern und stelle ihm vor, worum es geht. Ich würde ihn zu seinem Unternehmen befragen – es ginge um eine Struktur- und Kulturanalyse.

Und im Zuge meiner Erklärung fallen zwei Sätze, die bei mir nahezu immer an dieser Stelle fallen:

Sie interessieren mich als Person nicht. Im Gegenteil, ich versuche Sie zu ignorieren.

Eingebettet in meine sonstigen Erklärungen weckt dieser Satz bei ihm Neugier und er bringt zunehmend zum Ausdruck, sich auf das Gespräch zu freuen.

Doch ohne Kontext klingt diese Aussage unverschämt und überheblich, mindestens einmal despektierlich. Ich bin jedoch überzeugt: Nur wer Menschen ignoriert, kann sie respektieren. Das bedarf einer Erläuterung, klar. Also los.

Future Leader­ship

Die intrinsify Ausbildung
Löse Führungsprobleme, die andere noch nicht mal verstehen.

future-leadership.de

»Redet doch einfach mal miteinander«

Stellen wir uns einen Projektleiter in einem mittelgroßen Unternehmen vor. Nennen wir ihn mal Wolfgang. Wolfgang versucht mit seinem Team, Projekte zum Erfolg zu führen. Disziplinarische Verantwortung hat er keine.

Er spricht regelmäßig mit Stakeholdern unterschiedlichster Bereiche und hört ihnen beim Leiden zu. Seine ausgeprägte Empathie sorgt dafür, dass die Sorgen seiner Kollegen ihm schon auf die Magengrube schlagen, bevor sie diese überhaupt artikuliert haben.

Erst letzte Woche hat Wolfgang mit einem Teamleiter namens Jan im Support gesprochen:

Jan: »Egal wie oft wir es sagen, die da oben wollen das einfach nicht verstehen. Die sind zu blöd, um zu erkennen, dass wir uns hier im Support den Arsch aufreißen während der Vertrieb einen ungeklärten Auftrag nach dem anderen ins Unternehmen kippt. Denen ist vollkommen egal, ob sich das umsetzen lässt. Und am Ende landet der Scherbenhaufen bei uns.«

Jan ist echt ein vernünftiger Typ. Er regt sich selten unnötig auf und versucht stets, Rücksicht auf seine Kollegen zu nehmen. Wolfgangs Ungerechtigkeitsantennen springen an und er hat das unbedingte Bedürfnis, mal ein Hühnchen mit dem Vertrieb zu rupfen. Es kann doch nicht so schwer sein, sich mal etwas mehr Mühe zu geben. Und seinem Projekt würde es auch helfen, wenn an der Schnittstelle zum Vertrieb mal etwas mehr Klarheit herrschen würde.

Zwei Tage später sitzt Wolfgang also mit Elena zusammen, einer Regionalleiterin aus dem Vertrieb. Eine sehr freundliche Frau, aber auch knallhart.

»Hör mal, fahr doch mal mit raus zum Kunden, dann weißt Du wie das echte Geschäft aussieht. Die im Support verstehen den Kunden überhaupt nicht. Die würden am liebsten den ganzen Tag entspannt ein Ticket nach dem anderen abarbeiten. Ohne Störung und ohne Sonderfälle. Die sollten froh sein, dass wir zwischen ihnen und dem Kunden stehen. Sonst würden sie mal die raue Wirklichkeit kennenlernen

Kurz vor dem Gespräch war sich Wolfgang noch ganz sicher: Der Vertrieb muss sich ändern. Jetzt fühlt er sich fast ein bisschen schlecht, dass er so vorschnell geurteilt hat. Vielleicht hat Elena ja recht. Vielleicht stellen die sich etwas zu sehr an im Support.

Aber irgendwie muss es ja funktionieren. Als Projektleiter sieht Wolfgang es als seine Aufgabe an, die Wogen zu glätten und ein gegenseitiges Verständnis füreinander zu schaffen. Er will den Streit also schlichten und versucht einen neuen Regeltermin zu initiieren.

»Wenn sie nur miteinander reden würden, dann wäre es alles halb so wild.«, denkt sich Wolfgang.

Wenige Tage später findet er sich als Moderator wieder, der versucht, beiderseitig die Argumente zu relativieren und für ein Verständnis des jeweils anderen zu werben. Notgedrungen schwächt er beide Argumente leicht ab.

Es sei doch nicht so schlimm. »Ihr habt ja beide recht, ihr müsst halt aufeinander zugehen.« Dass Wolfgang dabei kein »Ach Kinder,…« über die Lippen rutscht, ist nur seiner Selbstdisziplin geschuldet. 

Nach mehreren Wochen der erfolglosen Konfliktarbeit, die immer nur daraus besteht, dass sowohl Jan als auch Elena Besserung geloben, um dann nach einer temporärer Entspannung wieder in alte Verhaltensmuster zurück zu fallen, platzt Wolfgang die Hutschnur. 

»Was für verbohrte Kollegen. Wie kann man denn so engstirnig sein? Es geht doch am Ende um das Gesamtergebnis, nicht darum wer Recht hat. Können die nicht einfach mal dieses verdammte Silodenken aufgeben?«

Wer anklagt, überhöht sich

Wolfgang hatte beste Absichten, klar. Er wollte beiden gerecht werden, selbstverständlich. Er wollte zudem dem Unternehmen dienen, ohne Frage. 

Doch leider hat er sowohl Elena als auch Jan verurteilt und sich damit über sie erhöht. Er hat die Deutungshoheit klären wollen und so beide zu Verlierern gemacht.

Wolfgang unterstellt ihnen mangelnde Bereitschaft, fehlende Empathie und keinen Willen, der gemeinsamen Sache dienen zu wollen. Er nimmt sie nicht mehr ernst. 

Implizit hat Wolfgang gesagt: »Ihr seid nicht in Ordnung. Ihr müsst Euch ändern. Und ich weiß, in welche Richtung Ihr Euch ändern müsst.«

Damit ist Wolfgang Opfer einer ganz üblichen Falle geworden, die Alltag in vielen Unternehmen ist: Er hat geurteilt, ohne zu verstehen.

Aus seinen Augen war die Sachlage eindeutig. Schließlich hätten sie doch “nur” miteinander reden, ihre Egos zurückstellen und ihren gesunden Menschenverstand nutzen müssen. Hätten sie?

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Nur wer seine Kollegen ignoriert, kann sie respektieren

Wirksamer wäre, Wolfgang hätte angenommen, dass seine Kollegen mit dem Problem nichts zu tun haben. Dass er oder jede andere an ihrer Stelle genauso handeln würde. Er hätte sie bei der Ursachenforschung ignorieren können. Sie erst gar nicht als mögliche Ursache in Betracht ziehen können.

Das ist anstrengender. Klar. Viel anstrengender. Denn jetzt müsste er sich fragen:
»Welchen guten Grund könnte es geben so zu handeln, wie Jan und Elena, ohne den Grund bei Jan und Elena selbst zu suchen?«

DAS und nur DAS ist ein respektvoller kollegialer Umgang.

Wer seinen Kollegen Vorwürfe macht, attestiert sich damit meist nur schlampige Ursachenforschung. Der macht es sich bequem und überhöht sich über andere.

Wolfgang sollte ganz anders auf das Problem schauen. Er sollte annehmen, dass nicht Jan und Elena mit ihm gesprochen haben. Vielmehr hat er die ganze Zeit mit zwei Rollen gesprochen, nämlich mit der Rolle “Teamleiter im Support” und “Regionalleiterin im Vertrieb”. Jan und Elena sind nur Spieler in diesem Spiel. Die Rollen sprechen sozusagen durch sie hindurch. 

Wenn wir uns den Fall genauer anschauen, kommen wir schnell auf den wahren Grund der Auseinandersetzung: Die Regionalleiterin hat ein Quartalsziel für ihren Auftragseingang. Ihr Bonus hängt davon ab, wie viele Projekte sie akquiriert. Einmal akquiriert muss der Auftrag durch alle Abteilungen, um dann schließlich nach der Inbetriebnahme an den Support übergeben zu werden.

Im Support hängt ein großes Kennzahlenboard auf dem die offenen Tickets, die Bearbeitungsgeschwindigkeit und einige weitere Kennzahlen minütlich aktualisiert werden. 

Jan und Elena werden in ihrer Rolle also ständig von internen Reizen gesteuert. So sehr sie dem Unternehmen dienen wollen, so sehr sitzen ihre Ziele ihnen ständig im Nacken.

Was in der Auftragsklärung noch eine nahezu unsichtbare Ungeklärtheit war, entwickelt sich über den ausbleibenden Kontakt zwischen der Konstruktion und dem Kunden zu einem Problemzwerg, wird dann später im Verlauf der Prozesskette in der Inbetriebnahme zu einem Problemkind und manifestiert sich schließlich im Support als Problemriese.

Doch diese Problemevolution ist vorprogammiert, da die Rahmenbedinungen im Unternehmen (also z.B. die Abteilungsstruktur, die Boni im Vertrieb, die Effizienzkennzahlen im Support, die Auslastungsziele in der Inbetriebnahme etc.) ein Denken entlang der Prozesskette und somit im Sinne des Kunden systematisch verhindern. 

Schuld an der Uneinigkeit zwischen Teamleiter im Support und der Regionalleitung im Vertrieb sind also nicht ihre Rollenträger, Jan und Elena, sondern die Struktur, von der sie Gebrauch machen.

Wer das nicht versteht, leitet völlig falsche Maßnahmen ein, so wie unser Projektleiter in diesem Beispiel. Wolfgang glaubt, der Sache zu dienen, indem er herausarbeiten will, wer Recht hat. Als er feststellt, dass beide irgendwie Recht haben, kann er sich das Problem nur noch dadurch erklären, dass Jan und Elena nicht miteinander reden wollen. 

Er personifiziert das Problem also. Da dies natürlich kein Einzelfall ist, entwickelt sich zunehmend der Glaube, die Mitarbeiter würden sich nicht genug Mühe geben und sich unkooperativ verhalten. 

Und schwups werden Mindset Trainings verabreicht. Oder man schwört sich auf gemeinsame Werte ein, z.B. “kooperatives Verhalten”. 

Das ist der Gipfel der Erniedrigung. Denn implizit wird gesagt: »Ihr seid Schuld an der Misere. Wir müssen Euch reparieren.«

Und ganz ehrlich: Ist das nicht die Höchstform der Respektlosigkeit? Ein Mindset Training? Das ist ja keine Wissensvermittlung. Ein Mindset Training, wie ich es hier beschreibe, ist eine überhebliche Verurteilung der Trainingsteilnehmer, die davon ausgeht, sie würden nicht verstehen, welches Verhalten der Organisation gut tun würde. 

Ein Zynismusbeförderungsprogramm könnte man auch sagen. Man “lernt” im Training zu kooperieren und trifft im Alltag wieder auf Strukturen, die Kooperation systematisch erschweren. Wer braucht hier ein Mindset Training?

Dienen tut es jedenfalls niemandem, weder dem Unternehmen noch den Mitarbeitern. Denn da die Ursache nicht beseitigt ist, wird das Problem sich einfach fortsetzen, egal wie viel Mühe sich alle geben. 

Respekt geht also anders. Respekt wäre, die Mitarbeiter als Ursache für die Probleme zu ignorieren. Sie als Menschen anzuerkennen wie sie sind. 

Und wenn man dann lange genug sucht, würde man irgendwann herausfinden, dass Jan und Elena sich widersprechende Ziele befriedigen sollen, die ihrerseits beide im Widerspruch zum Unternehmensziel stehen.

Und erst wenn an dieser Ursache gearbeitet wird, lässt sich das Problem lösen. Erst dann wird die Wertschöpfung leichter fallen und sich folgerichtig auch die Beziehung zwischen Jan und Elena sowie die gesamte Stimmung im Unternehmen erholen.

Solange man nicht an der Ursache arbeitet oder arbeiten kann (z.B. weil man nicht ausreichend formale Macht hat, um etwas zu ändern), sollte man die Leistung anerkennen, die jeder erbringt und gemeinsam über die absurden Widersprüchlichkeiten lächeln, die man jeden Tag befriedigen muss. 

Und nicht selten führt diese Erkenntnis zu einer Entlastung auf allen Seiten und dazu, dass alle entspannter mit ihren Zielen umgehen können. Anerkennung statt Anklage. Anerkennung für das Doppelagentenleben, das die meisten Kollegen täglich meistern müssen.

Und noch besser wäre natürlich, wenn man das Problem im Keim erstickt. Wenn man an die Struktur und die Rahmenbedingunen rangeht, die Arbeit verhindern. 

Dazu könnte man in diesem Beispiel Jan und Elena zusammen mit ein paar weiteren Kollegen in eine Mannschaft stecken, das für ein Segment der gesamten Wertschöpfungskette verantwortlich ist und sie dabei von lästigen Zielen und Kennzahlen befreien.

Das ist nicht nur respektvoller, sondern auch deutlich wirtschaftlicher.

Weitere Möglichkeiten findest Du in diesem Artikel: “Wie lassen sich Organisationen wirksam irritieren?”.

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Dieser Artikel ist für mich deutlich „zu kurz gesprungen“. Es fehlen die Erkenntnisse aus der Kommunikationstheorie genauso wie aus der Systemik. Es werden keine Werte und keine Sozialisationen hinterfragt.
Es hat ja ein System – die Ignoranz der ausführenden Persönlichkeit – aber genau die Persönlichkeit ist die Interprätationsebene einer Aufgabe innerhalb eines sozialen Kontextes (Firma). Sie bringt die Annahmen ein, wie ein Prozesschritt durchgeführt werden „sollte“ – was Erfolg ist und wie er erreicht werden kann.
Der Artikel zielt darauf ab, die Basics eines Problems zu erkennen – aber rein objektiv gibt es keine Probleme, sondern nur Zustände, die als (nicht) zielführend interpretiert werden (können)
Für mich ist die Fragestellung bzw. die Annahme falsch – sondern es geht darum, innerhalb eines unvollständigen und fehlerhaftem Systems eine Situation zu schaffen, die alle Systembedingungen – nach ihrer Priorität – möglichst befriedigt. Dazu gehören die unternehmerischen genauso wie die persönlichen bzw. rollenspezifischen Bedingungen.

Ein sehr anregender Kommentar. Ich denke dennoch, es ist schon sehr fortgeschritten, von einem Unternehmen zu erwarten, dass Systembedingungen nach Priorität bearbeitet werden können. Das impliziert ja, dass es diese Priorität gäbe, weil sie z.B. irgendjemand mal festgelegt hat. Die Realität in meiner Erfahrung sieht eher so aus, dass jede Unternehmenseinheit für sich agiert (Stichwort Kostenstellenegoismus), mit eigenen Zielen und Erwartungen – die wiederum nur bedingt mit den Unternehmenszielen korrelieren. Das habe ich so auch in Marks Artikel wiedergefunden. Wobei ich mir nicht sicher bin ob es reicht, die Widersprüche dann einfach mit einem „naja jeder macht seinen Job und wir sind alle gut“ wegzulächeln. Wahrscheinlich gibt es in dem beschriebenen Fall stets einen der „verliert“, also seine Ziele nicht erreicht (oder zumindest gefährdet sieht), was wiederum maximal Stress erzeugt.
Im Grunde bleibt fast nichts anderes übrig, als immer und immer wieder die Probleme zu thematisieren und zur Sprache zu bringen – vielleicht über alle Hierarchien hinweg zur Geschäftsführung. Da bietet es sich an, nicht allein aus der eigenen Abteilungsbrille zu argumentieren sondern dann mit den verbündeten Einheiten, die ähnliche Probleme sehen.
Maximal anstrengend, aber alles andere sind halt nur Pflaster….

Lieber Mark,
unter anderem in der Future Leadership habt ihr sehr eindrücklich gezeigt, dass der Einfluss des Rahmens auf das Verhalten von Menschen einen sehr großen Einfluss hat. Und auch, dass wir diesen Einfluss unter- und den Einfluss von Persönlichkeitseigenschaften überschätzen. Soweit so nachvollziehbar. Was mich aber seitdem und jetzt auch nochmal aufgrund dieses Artikels beschäftigt, ist die Frage, ob man das derart ‚rigoros‘ als Erklärungsmuster verwenden kann – und insofern schließe ich mich dem ‚zu-kurz-gesprungen‘ von Peter Rhode an.

Das wäre am Ende doch ein sehr mechanistischer Ansatz, wenn das Verhalten von Menschen ausschließlich oder überwiegend durch den Systemrahmen gesteuert/ =determiniert wäre – der Mensch wäre eine Figur, die je nach Spielfeld und -regel in einer bestimmten Art agiert. Das vernachlässigt meiner Meinung nach, dass es neben der – zweifelsfrei mächtigen – Organisations- oder System-Logik auch eine individuelle (und gleichfalls mächtige) Psycho-Logik gibt. Also einer durch persönliche Eigenschaften/ Verarbeitungsmuster/ Motive geprägten Auslegung und Gestaltung von Rollen im Rahmen. Wie ließe sich sonst erklären, dass es immer wieder Menschen gibt, die im bestehenden Rahmen ‚aus dem Rahmen fallen‘ und damit Innovation und auch Veränderung von kulturellen Mustern ermöglichen.

Ich teile die Meinung, dass man als Organisationsberater viel stärker als bislang die Veränderung des Rahmens in den Fokus stellen muss, anstatt in der ein oder anderen Weise an der Psycho-Logik von Menschen herumzudoktern – denn nur hierauf kann man unmittelbar Einfluss nehmen. Wenn man das aber auch als DAS Erklärungsmuster für menschliches Verhalten heranzieht, fällt man ja wieder auf der anderen Seite vom Pferd 🙂

Viele Grüße
Thorsten

Hallo Sven,
Ich gehe durchaus mit, wenn auf die Systemtheorie rekuriert wird, um anzudeuten, dass es fehlleitend ist Personen für strukturelle Widersprüche in der Organisation alleine verantwortlich zu machen. Aber das Kind mit dem Bade auzuschütten und eine Schlagzeile in Bildzeitungsmanier zu produzieren, scheint mir zu billig provokativ und systemtheoretisch eher eindimensional. Denn auch die angemahnten strukturellen Änderungen entstehen bei aller luhmann’schen Abstraktion nicht durch eine unsichtbare Hand, sondern durch handelnde Akteure, die sich zur Koordination des verbalen Kommunikationscodes bedienen müssen.
Die sich durch den Artikel ziehende Empfehlungen, wie „Solange man nicht an der Ursache arbeitet…“ lassen offen, wer dieses „man“ sein sollte (clevere Intrinsify Berater wohl eher nicht). Letztlich kommt es vielleicht doch darauf an, dass mehr geredet wird – die richtigen Menschen in der Organisation über die richtigen strukturellen Themen, um dann gemeinsam aus ihren jeweiligen Verantwortungen zu handeln.
Systemische Grüße, Markus

Hallo Mark

Danke für den Artikel, denn er ist für mich eine schöne Möglichkeit, mit Dir nochmals über den Punkt zu diskutieren, den wir glaube ich die letzten Jahre immer wieder offen hatten.

Ich bin absolut einig, dass die Strukturen Einfluss auf den Menschen haben. Den systemischen Part auszuschliessen und mit irgendwelchen Mindset-Trainings (wobei ich gar nicht so genau weiss, was das ist?) zu hoffen, dass sich doch der Mensch ändert, passiert nach meiner Erfahrung eh nur in Systemen, die am Ende des Tages NUR auf den Profit schauen. Der Mensch soll auf (mehr) Leistung dadurch getrimmt werden. Geht ggfs. sogar ein wenig, macht auf Dauer aber einfach keinen Sinn.

Wenn wir (also Andreas und ich) mit Unternehmen arbeiten, haben wir – idealerweise – zunächst den Mensch im Fokus. Warum? Weil nach meiner bescheidenen Erfahrung her die Idee, die Du so schön beschreibst, „andere Menschen zu ignorieren“ doch seit Jahrtausenden DAS Problem in der zwischenmenschlichen Interaktion ist. Warum scheitern so viele Ehen, Beziehungen, Partnerschaften? Familien, die nicht mehr miteinander sprechen?

Wie also schaffe ich es, andere Menschen zu ignorieren, wenn ich nicht zufälligerweise ein Roboter ohne Emotionen bin? Genau an diesem Punkt unterstützen wir Menschen dabei, zu lernen ihre eigenen daraus resultierenden Spannungen überhaupt erstmal selbst zu klären. Ohne Selbstklärung keine Konfliktklärung bzw. in den meisten Fällen gibt es gar keinen Konflikt, da nur in mir etwas angetriggert ist.

Andere Menschen zu ignorieren (um bei denen Worten zu bleiben) heisst Anschuldigungen, Wut, Zorn, Unverständnis, Irritation etc. erst einmal zu mir zu nehmen und nicht dem anderen zuzuschieben.

Das ist im Übrigen auch meiner Erfahrung nach in den meisten „agilen“ Teams, die mit Scrum und Co arbeiten, eine der echten Herausforderungen. Du erinnerst Dich, dass ich hier immer wieder auf das Manifest mit Blick auf „Humans and Interactions over processes and tools“ verwiesen habe? Das kann man auch so sehen, dass man zunächst schaut, was bei einem selbst ist.

Diese lange und intensive Diskussion habe ich schon mehrfach mit Bernd Oesterreich und Claudia Schröder im Kontext „des kollegial geführten Unternehmens“ geführt. Und beide haben mittlerweile (interpretiere ich mal so) auch für sich erkannt, wozu wir so einen starken Fokus auf den Mensch nehmen.

Denn wenn Menschen gemeinsam neue Strukturen aufbauen, wird es unweigerlich zu Spannungen kommen. Werden diese nicht selbst geklärt, führt dies unweigerlich dazu, dass einen Einfluss auf die Kommunikation zwischen Menschen hat.

Bin gespannt auf deine Rückmeldung dazu.

liebe Grüsse
Ralf

Lieber Ralf,

Danke für Deinen Kommentar. Deiner Argumentation kann ich folgen und sehe keinen Widerspruch. Menschen zu respektieren bedeutet sie so zu lassen wie sie sind, also davon auszugehen, dass sie nicht defekt oder entwicklungsbedürftig sind. Das ganze Leid in Beziehungen, Familien etc (um Deine Frage zu beantworten) kommt daher, dass wir unsere Mitmenschen gerade nicht so akzeptieren wie sie sind, sondern sie gerne anders hätten. Und hier hilft eben der systemtheoretische Blick weil er verstehen lernt, dass Kommunikation gar nicht einseitig festgelegt werden kann. Der Blick kann also entlasten und erkennen lassen, dass man sich Konflikte und frustrierende Kommunikationsmuster eingehandelt hat, die keiner wollte. Und dass man einem Beobachtungsfehler unterliegt, wenn man die Schuld dafür in seinen Mitmenschen sucht.

Und darum geht es mir im Kern. Wenn Du diese Aufklärungsarbeit als Arbeit mit Menschen bezeichnen möchtest, kannst Du das natürlich tun.

Bloß wenn Du glaubst, die Mitarbeiter in Unternehmen entwickeln zu müssen, tappst Du in die Falle.

Über Zusammenhänge aufzuklären ist anständig und wirksam.

Menschen entwickeln bzw. verändern zu wollen ist unanständig und wirkungslos.

LG

Hallo Markus

Wer ist eigentlich Sven? 😉

Anyway, ich höre hier irgendwie Ärger oder Wut bei Dir raus. Und Sarkasmus („clevere intrinsify Berater“). Vielleicht ärgert es Dich, dass wir ein Thema populär machen und damit viele Menschen erreichen, es dabei aber nicht ganz so präzise und differenziert halten, wie es das Thema aus Deiner Sicht verdient hätte? Das könnte ich verstehen. Wir werden das aber weiterhin machen, denn ich merke wie viel wirksame Aufklärungsarbeit wir durch diesen Spagat aus populärer und auch marktschreierischer aber zugleich theoretische fundierter Schreibe erreichen und damit zusätzlich auch noch gutes Geld verdienen können.

Und da die personenzentrierte Sicht insgesamt deutlich überbetont wird bzw mehr Gewicht in unserer Arbeitswelt hat, betone ich die systemtheoretische Sicht auch etwas über, sozusagen als Rekalibrierungsversuch. Das gefällt nicht jedem und muss es ja auch nicht.

Inhaltlich kann ich mich Deinen Aussagen anschließen. Diejenigen, die mit ausreichend Macht ausgestattet sind, können über die Nutzung z.B. solcher hier beschriebenen Denkmodelle auf ihre Organisation schauen und strukturelle Änderungen vornehmen. Und dazu müssen sie natürlich von den bisherigen Mustern und Codierungen des Systems Gebrauch machen, damit ihre Mitteilungen zu anschlussfähiger Kommunikation werden können. Da sind wir ganz beieinander.

Lieber Mark,

auch wenn es dir egal ist von der anderen Seite vom Pferd zu fallen, wie es Thorsten Braun so schön formuliert hat, fängt es aber an weh zu tun, wenn so moralische Kategorien benutzt werden wie „anständig“ oder „unanständig“. Provozieren, um in dem lauten Getöse von Informationen und Nachrichten wahrgenommen zu werden, haben eine gewisse Notwendigkeit. Gleichwohl würde ich mir wünschen, dass das in der Diskussion mit Kolleginnen und Kollegen aufhört. Als Berater sind wir gerufen worden – wir müssen nicht – aber am Ende wird eine beobachtbare Verhaltensänderung gefragt sein. Ja, die Strukturen und die systemischen Dynamiken sind mächtig und müssen viel mehr in der Organisationsberatung Beachtung finden. Mit einem entweder-oder kommen wir aber nicht weiter. Haben wir nicht gelernt (ich z.B. von Fritz Simon) dass die Lösung in einem Sowohl-als auch zu finden ist?. Meine Erfahrung mit agilen Laboren als Stimulus für ein anderes Mind-Set, lehrt mich, dass es was sehr persönliches gibt, was Veränderungsvorhaben ziemlich anspruchsvoll macht: Gewohnheitsmuster. Gewohnheiten von Menschen und Gruppen haben ein immenses Beharrungsvermögen und ohne intrinsische Motivation und externe Rahmung sind sie kaum veränderbar. Freiwilligkeit und Gestaltungswille vorausgesetzt, sind schädliche Gewohnheiten veränderbar und das ist mit meiner moralischen Haltung auch gut vereinbar. Gewohnheiten sind nicht böse. Sie wirken halbbewusst, automatisiert und schonen unseren Energieeinsatz. Letztlich sind sie sowohl persönlich als auch Gruppen- und systemdynamisch. Menschliches Verhalten ist halt an Menschen gekoppelt: Deshalb freue ich mich auch über jeden Coaching-Klienten 🙂

Beim Lesen des Artikels hatte ich prominent einen unserer Klienten vor Augen. Passt alles wie die Faust aufs Auge. Bis hin zur wörtlichen Formulierung des „Mindset-Trainings“, was mich dazu brachte den Artikel auf Twitter zu teilen.
Dann wies mich mein Kollege heute morgen auf einen anderen gemeinsamen Kunden hin und fragte mich, wie die Erkenntnis aus diesem Blog wohl in diesem speziellen Fall zur Anwendung zu bringen sei. Einige Denk-Abzweige später bin ich an einem Punkt, an dem ich Feedback brauche:
Die Systemtheorie denkt das Individuum und seine Psyche aus Kommunikation ja ziemlich konsequent raus. Darum soll ich ja – um beim Titel des Blogs zu bleiben – meine Kollegen ignorieren, wenn ich sie respektieren will. Das ist ein Modell und eine Sicht auf Kommunikation/Organisation, die auch in unserer Arbeit unbestreitbar zahlreiche Einblicke in Wirkzusammenhänge einer Organisation liefert, die richtig und hilfreich sind und anders nicht zu Tage zu fördern wären.
Mit Blick auf den zweiten Klienten stellt sich mir allerdings die Frage, bis wo das Modell für sich den Anspruch erhebt, vollständige Erklärbarkeit zu erzeugen? Wo kommt die Psyche der handelnden Akteure ins Spiel? Wo deren Verhaltenspräferenz? Deren Menschenbild? Ich will nicht zurück an den Punkt, dass ich „Defekte“ bei Individuen suche, die zu reparieren sind. Jeder der Akteure verhält sich auf seine eigene Art systemrational. Aber eben „auf seine eigene Art“. Da agiert der extrovertiert status-orientiert anders als der introvertiert team- und ergebnis-orientierte. Und beides Verhalten fördert unterschiedliche Herausforderungen für die Organisation zu Tage. Oder bin ich unbemerkt auf den Holzweg abgezweigt? Wenn ja, wo?

Hallo lieber Mark

Ich habe ein wenig länger überlegt, ob bzw. wie ich Dir antworten kann. Denn für mich hört sich die pure Sichtweise nach einer sehr harten weiss oder schwarz Betrachtung an, die offenbar als in sich sich geschlossenes System genutzt werden kann, um den Mensch bewusst aussen vor zu lassen.

Bleiben wir doch bei dieser Annahme, wir verändern die Strukturen. Es entstehen neue Spannungen bei einzelnen Menschen. Schaffen diese es nun, den Mensch zu ignorieren (um in deiner Formulieren zu bleiben), der mich antriggert, dann kommen wir uns vermutlich deutlich näher.
Nur: Wie sollen Menschen dies denn einfach mal so schaffen, was sie in Beziehungen, Familien, im Freundeskreis, im Verein etc. bisher nicht geschafft haben???

Ich wiederhole mich vermutlich: Ich sehe den Sinn, den Nutzen und die Mächtigkeit einer systemischen Sichtweise und dem bewussten Ausklammern von Menschen durchaus. In jedem Fall deutlich mehr als früher mal ?
Für mich reicht dieses aber wie einfach nicht aus. Ich sehe beide Welten und versuche diese in unserer Arbeit zu verbinden.

Im Übrigen sehe ich mich hier nicht als Entwickler von Menschen. Alleine der Satz „Ich entwickele Mitarbeiter / Menschen“ hört sich für mich sehr schräg an. Wir schaffen einen Lernraum zur persönlichen Weiterentwicklung und begleiten die Reise. Wenn ich mit Menschen arbeite, dann tun die dies zum einen freiwillig (und nicht weil das Unternehmen sie geschickt hat) und zum anderen, geht es nicht darum, dass das Unternehmen z.B. mehr aus ihnen rauspressen möchte. Klassisches Coaching getreu dem Motto „Mitarbeiter XY, du machst das nicht so, wie wir wollen, du brauchst mal ein Coaching“ kannst Du gerne als unanständig von der Absicht bezeichnen.
Aber Unternehmen als Raum für möglichen, eigenen Wachstum zu öffnen, dies als Angebot auszusprechen und nicht wie Bodo Janssen jeden erst einmal ins Kloster zu schicken (weil es so gut für ihn selbst funktioniert hat), macht für mich einen kleinen Unterschied.

Einfach ausgedrückt: Ob anständig oder unanständig (ich vermute, Du beziehst Dich hierbei auf Sprenger) hat für mich primär mit der Absicht und Haltung zu tun.

Mir kommt da eine Idee für einen kontroversen Blog: Warum die Systemtheorie nicht (mehr) ausreicht, daraus könnten sich spannende Diskussionen ergeben ?

Liebe Grüsse
Ralf

Hallo Tim, das sind Punkte, bei denen ich immer wieder im Kontext der Systemtheorie hängen bleibe. Irritationen, die durch systemischen Kontext erzeugt werden, kann ich noch herausnehmen.

Aber die Unterschiedlichkeit von Menschen dadurch noch lange nicht. Nach meiner Erfahrung braucht es dazu eine Menge an Menschenkenntnis und Sozialkompetenz – im übrigen, kann das auch durchaus kognitiv (also rational) sein.

Die Antwort habe ich bisher noch nicht gefunden…

Hallo Mark,
Sorry für den skandinavischen Namensdreher, mein Fehler! Als Projektionsfläche für deinen Ärger diene ich zwar gerne – wichtiger wäre mir allerdings ein sachlicher Diskurs im Netzwerk, den ich mit dem Kommentar eigentlich anregen wollte: Im Versuch eine personenzentrierte Sicht etwas systemisch zu balancieren, schließe ich mich durchaus an. Was ich kritisiere, ist die normative Auslegung einer speziellen Variante der Systemtheorie, die ursprünglich dazu dienen sollte gesellschaftliche Phänomene deskriptiv zu durchleuchten. Wenn sie dann am Ende dazu benutzt wird, um normative Regeln aufzustellen oder schnelle Tips zu geben, ala ’schau ja nicht auf die Person sondern auf Strukturen‘, finde ich das etwas kurz gesprungen. Was dann verloren geht, ist das Potential der systemischen Beobachtung II.Ordnung, bei der es weniger um Bewertung geht, sondern um die Reflektion verschiedener Arten von Wirklichkeitskonstruktion und Unterschiedsbildungen. Und gerade das scheint mir in der aktuellen Debatte rund um Trends wie New Work zu kurz zu kommen. Konkret: Auf handelnde Personen und deren individueller Verantwortung zu schauen halte ich für relevant, um nicht in der Pauschalisierung leerer Empfehlungen eines „man sollte…“ zu landen – auf die Strukturen und Praktiken zu schauen ist sinnvoll, wenn ich als handelnde Person eine Möglichkeit und Verantwortung habe sie mit zu gestalten. Statt eine Perspektive zu ignorieren scheint mir das systemische Prinzip hier eher im ergänzenden sowohl als auch zu liegen, was sich, zumindest in meiner Praxis, auch am ehesten bewährt.
Gruß, Markus

Hi Markus. Ich sehe den Widerspruch nicht. Ich habe eher den Eindruck, dass Du einen Widerspruch zwischen uns Herbeidichten möchtest. Wenn Du einen sachlichen Diskurs suchst, dann stelle vielleicht die beiden Sichtweisen, die Du hier erkennst, unterscheidend gegenüber und dann gucken wir mal, ob wir was lernen können. Ich bin auch nicht ärgerlich, keine Sorge. Du brauchst nicht als Projektionsfläche dienen.

Bist Du bei der Vertiefungssession dabei, Ralf? Ich bekommen zunehmen den Eindruck, dass wir kaum einen Widerspruch haben und Du die Systemtheorie nur missverstehst. Denn in dieser Theorie komplexer System gibt es biologische, soziale UND psychische Systeme. Die Menschen werden also nie „aussen vor gelassen“, wie Du schreibst. Sie sind ja eine sehr relevante Umwelt des Sozialsystems. Bloß nimmt die Systemtheorie eben an, dass psychische, biologische und soziale Systeme operativ geschlossen sind. D.h. es hilft die Beobachtung dieser Systeme immer vor dem Hintergrund dieser operativen Geschlossenheit durchzuführen. Gehen wir mal in die Therapie und schauen uns eine Psyche an, die ein krankhaft erscheinendes Muster zu haben scheint, bei dem sie nur wirre Laute von sich gibt, obwohl sie in der Lage wäre Laute von sich zu geben, die andere als Sprache interpretieren. Dann würde man dieses Verhalten bei systemtheoretischer Beobachtung zunächst als „sinnvoll“ auslegen. Man würde also nicht sagen: „Du kannst doch ’normal‘ sprechen. Komm wir versuchen es mal zusammen.“ Sondern eine Intervention (jetzt natürlich extrem verkürzt erklärt) könnte dann sein, ebenfalls wirre Laute von sich zu geben und den Menschen nicht als korrekturbedürftig zu bezeichnen. Sich also in seine Welt zu begeben. Zu solchen und ähnlichen Beispielen gibt es (wie Du wahrscheinlich weißt) viel gute Literatur. Man würde sich aber eben auch das Sozialsystem Familie anschauen, um zu verstehen, wie es zu diesem Muster kommen konnte. So wird die Ursache von Schizophrenie bei systemtheoretischer Beobachtung ja z.B. auch nicht als Störung im Menschen gesucht, sondern man sucht typischerweise nach der Quelle für eine extreme Häufung von Double Binds, die diese Person ausgesetzt ist. Denn das kann Schizophrenie auslösen.

LG

Hi Tim. Ne genau richtig. Du bist nicht auf dem Holzweg. Siehe mein Kommentar an Ralf gerade. Die Systemtheorie beschreibt das Verhalten von biologischen, sozialen UND psychischen Systemen. Technische lassen wir als nicht-komplexe mal raus. Die Andersartigkeit der Psychen macht sich im System bemerkbar und zwar typischerweise in der Intensität der sogenannten strukturellen Kopplung des Systems an die Psyche. Ein Beispiel: Der Inhaber eines mittelständischen Unternehmens ist strukturell sehr stark an das Sozialsystem gekoppelt. Tauscht man ihn aus, ist das eine heftige Irritation und das Kommunikationssystem „rüttelt sich“ neu ein. Aber das System rüttelt sich eben nach seinen eigenen „Regeln“ bzw. Mustern ein. D.h. der Inhaber agiert in einem Kraftfeld, dass die mögliche Kommunikation auf eine wahrscheinliche reduziert. Und sogar wenn er Mitteilungen wählt, die unerwartet sind, entsteht daraus meist Kommunikation, die erwartbarer war. Vielleicht hilft dieses Bild: Wir spielen Monopoly: Eine extrovertiert status-orientierte Spielerin wird das Spiel womöglich anders spielen als eine introvertiert team- und ergebnis-orientierte, aber das Spiel bleibt das Gleiche. Und eine wichtige Sache muss man bei alldem immer mitdenken. Persönlichkeitseigenschaften können ja systemabhängig sein. Gerade weil jedes System sich eine Person als Symbol konstruiert und die Psyche sich dieser Person „ausgesetzt“ sieht, handelt sie meist in jedem System anders.

Hallo Mark

Ich würde gerne in die Vertiefungssession kommen, habe diese Woche „leider“ recht viele Kundentermin und so auch gleich morgen früh ?

Vielleicht schafft die Vertiefungssession (sofern sie denn aufgezeichnet wird) ein wenig Klarheit, was Du meinst.
Denn ich höre deine Worte und sehe deinen Bezug zur Systemtheorie, kann diese aber dennoch nicht in diesem Kontext einordnen. Mir ist das alles gerade zu theoretisch, was ggfs. am Wort der systemTHEORIE selbst liegt.
Für mich gibt es durchaus Anwendungsbereich, wo ich die Betrachtung als sehr sinnvoll erachte und selbst nutze. Und mir ist auch bewusst, dass die Systemtheorie den Mensch als solchen nicht komplett ignoriert.

Dennoch erschliesst sich mir nicht, wie ein Mensch nun den anderen ignorieren soll und bewusst auf seine Rolle im System schauen soll.
Konkretes Beispiel: Eine Gruppe von Menschen beginnt gemeinsam Verantwortung zu übernehmen (keine Delegation sondern echte Übernahme). Entscheidungen werden gemeinsam getroffen (Konsent).
Eine Aussage von einem anderen Kreismitglied springt ihn plötzlich förmlich an. Grob gibt es (aus meiner Sicht) nun zwei Grundmöglichkeiten, damit umzugehen.

a) Unbewusst, d.h. ich nehme es nicht wahr, und reagiere basierend auf Mustererkennung darauf, gehe aggressiv vor, bin nicht mehr handlungsfähig oder ziehe mich komplett zurück. Dies hat alles einen Einfluss auf meine Entscheidung.
b) Bewusst, ich nehme also wahr, dass mich etwas angetriggert hat, dass es ggfs. gar nichts mit dem Menschen zu tun hat. Dies erlaubt mir grundsätzlich überhaupt erst eine Entscheidung zu treffen, bei der ich bewusster von dem vorherigen angetriggert sein abgrenze.

Ich wäre als wirklich neugierig, wie Du aus deiner Sicht mit so einer Situation umgehen würdest. Zumal Dir diese in einem Unternehmen, das mehrere hundert MAs hat, auf dem Weg in eine Selbstorganisation sehr häufig über den Weg laufen kann.
Und so kann ich mir nicht vorstellen, wie spätestens eine verstärkte Selbstorganisation mit Variante a) funktionieren soll.

Lg
Ralf

Hi Ralf, in aller Kürze: Situation b) schildere ich doch ganz konkret in meinem Blogartikel. Distanz zum Gefühl gewinnen, nicht den Grund bei dem anderen Menschen suchen, Problem ganzheitlicher verstehen. Da haben wir keinen Widerspruch.

Ob es sich allerdings lohnt (also Aufwand – Nutzen) sich mit einem „kleinen Konflikt“ in einem Team/Kreis o.ä. auseinanderzusetzen würde ich als Frage noch davor schalten. Aber das ist nur eine Frage des Hebels und des Mandats als Berater. UNd damit natürlich auch höchst individuell.

LG Mark

Hallo Mark

ich denke, dass da auch die Differenz in unserem Verständnis liegt.
Das Team/Kreis Thema war effektiv auch nur ein kleines Beispiel, um dies konkreter zu machen.

Du schreibst „Distanz zum Gefühl gewinnen, nicht den Grund bei dem anderen Menschen suchen, Problem ganzheitlicher verstehen.“
Ich würde sagen, dass wir da durchaus keinen grundsätzlichen Widerspruch haben.

Wobei ich hier noch hinzufügen würde, die Fähigkeit zu haben, solche Themen mit sich selbst klären zu können. In meinen Augen gibt es so betrachtet auch keinen Sachkonflikt.

Möglicherweise haben wir aber unterschiedliche Erfahrungen gemacht, in wie weit ein Mensch tatsächlich so einfach Abstand zum Gefühl bekommen kann.
In meiner Realität – egal ob beruflich, privat, Beziehung, Freundeskreis etc. ist das ja eigentlich genau das, was häufig gar nicht funktioniert.

Zuerst brauche ich ja doch erst mal Bewusstheit dafür, dass da tatsächlich etwas in mir passiert. Wieviel Menschen sind von sich abgeschnitten? Reflektieren nicht, wozu auch, so lange der Autopilot funktioniert.
Im Kern kann man durchaus darüber diskutieren, wie Menschen wirklich dorthin gelangen. Ich glaube, dass das nur durch intrinsische Motivation (What’s in for me) geschehen kann.

In besagtem Beispiel hätte das alleine in dem Kreis z.B. dazu führen können, dass eine Person nicht angestellt wird. Und man hätte dabei einfach nach Sachgründen gesucht, die dies begründen.
Wenn sich nun solche Kleinigkeiten wiederholen und aufstauen, entsteht mehr und mehr Dysfunktionalität. Und eine effektive Zusammenarbeit ist kaum noch möglich.

Für mich geht es aber auch noch weiter. Wenn wir annehmen, dass z.B. in einem kollegial geführten Unternehmen die Kollegen basierend auf Prinzipien Verantwortung dafür übernehmen, dass gewisse selbst gesteckte Rahmenbedingungen eingehalten werden, so geht dies nur darüber, dass ich dies anspreche, wenn ich einen inneren Konflikt empfinde. Der ist vielleicht noch nicht nach aussen beobachtbar. Aber wird er nicht angesprochen, versagt im Prinzip die Idee der sozialen Kontrolle plus hat ggfs. auch Auswirkungen in der Interaktion und Kommunikation.

Das könnten man auf Kündigung von Kollegen ausweiten, Gehaltsthemen etc. Wenn Menschen in diesem Kontext nicht die Situation bewusst betrachten können, dann glaube ich, wird es schwierig.
Ich würde mir wünschen, dass dies anders wäre, die Realität, die ich erlebe, sieht einfach nur anders aus.

Hallo Mark,
Auch wenn wir ev. langsam an die Grenzen dieses Kommentarfelds gelangen, versuche ich dir nochmal einen kleinen ergänzenden Vers zu dichten, da ich diesen Dialog ja mit angestoßen habe. Ich habe mir gerade im Auto deine Vertiefungssession von heute morgen angehört und fand die Beispiele klärend für eine Erläuterung.

Zunächst mal das Verbindende: Ich gehe vollkommen mit der These mit, dass für Verstehen und für Veränderungsvorhaben in der Organisation ein Verständnis von Kulturmustern, strukturellen Kopplungen, ev. auch eine historische Perspektive hilfreich ist. Dem ist nicht so leicht auf die Spur zu kommen, aber dazu entwickelte die systemische Arbeit eine Fülle von Werkzeugen und Ansätzen. Für mich haben sich hierbei dialogische Formate, Hypothesenbildung, systemische Strukturaufstellungen oder die beispielhafte Bearbeitung systematisch auftretender Konflikte und Spannungsfelder bewährt. Interessant für mich, dass du dabei im praktischen Vorgehen letztlich auf die Informationen der einzelnen Handelnden (Wolfgang) zurückgreifst, um eine systemische Hypothese zu generieren, deren Erkenntnis und Verarbeitung dann wiederum für die Handelnden einen Unterschied machen soll. Das meine ich mit der Oszillation zwischen personaler und systemischer Perspektive. Nebenbei bemerkt sind die so gebildeten Hypothesen ja keineswegs objektive Systembeschreibungen, sondern immer subjektive Wirklichkeitskonstruktionen des (beratenden) Beobachters, die nicht nach Wahrheitsgehalt sondern nach hilfreicher Plausibilität im Beratungsprozess bewertet werden können.

Nun das in meiner Wahrnehmung Unterscheidende: Von den handelnden Personen vollkommen abzusehen, sodass für die Erklärung von Verhalten nur noch implizite/explizite Regeln übrig bleiben, verdeckt zugleich die Möglichkeit jedes einzelnen Bewusstseins in der Organisation durch die individuelle Reflexion kommunikative Prozesse und damit kolletive Reflexion anzustoßen. Dies geschieht natürlich nicht kontrollierend oder trivial steuerbar, sondern die Wirkung hängt wesentlich davon ab, ob in Interdepenz mit den Kontext- und Marktbedingungen in der Selbstorganisation entsprechende Resonanzen entstehen – also einfach gesagt, Zeit und Kairos reif ist. Personenzentriert meint hier nicht, einzelne menschen als Schuldige für systemische Muster und deren Widersprüche zu deklarieren. Es nutzt und fördert vielmehr das Potetenial des einzelnen Bewusstseins, als Manifestationsraum kollektiver Prozesse Beobachtungen 2. Ordnung im System anzuregen – also durch bewusste, indentierte Reflexion Feedbackschleifen zur Selbstbetrachtung des Systems anzuregen. Das Entscheidende ist, dass diese nicht nur spezifische Problemmustern zeigen sondern auf wesentliche Entwicklungstendenzen der Organisation verweisen und so neben der nötigen Irriation im System auch für konstruktive Neuorientierung und Perpektivenerweiterung sorgen. Der Ansatz der lernenden Organisation von Peter Senge, der U-Prozess von Otto Scharmer oder ‚deep democracy‘ von Arnold Mindell folgen dieser Variante systemischen Handels, das mehr in der Tradition von Heinz von Förster, Gregory Bateson oder Francisco Varela steht.
Soweit so gut – ob und von wem was gelernt wird hängt ja vom Empfänger der Nachricht ab – mir sind jedenfalls in dem kleinen Diskurs die Unterschiede der verschiedenen systemischen Perspektiven deutlicher geworden und dafür bedanke ich mich. Letztlich bleiben wir hier leider eher abstrakt und Lernen braucht neben theoretischen Ausführungen ebenso die erlebte Praxiserfahrung.
Einen schönen Abend,
Markus

Hi Mark,

ich teile Deine Bedenken über die Dysfunktionen, die Du beschreibst. Was ich nicht teile, ist Deine Schlussfolgerung (zumindest so, wie ich sie hier verstehe).

Für Jan und Elena zu entscheiden, dass die Strukturen das Problem sind, finde ich nämlich nicht weniger respektlos und überheblich.

Nach meiner Erfahrung, wenn ich Jan und Elena helfen kann, mal wirklich *miteinander* zu reden (statt nur gegeneinander oder aneinander vorbei) und sich die Zeit zu nehmen, in die Tiefe zu gehen und sich mal wirklich zuzuhören (und das braucht keine Mindset-Schulung, sondern nur Zeit und ein bisschen gekonnte Moderation) – dann haben Sie nämlich selber die Möglichkeit, herauszufinden, inwieweit es die Strukturen sind, die den Konflikt verursachen. Und in wieweit vielleicht doch persönliche Enttäuschungen, die gibt es nämlich auch. Und sich dann zu überlegen, wie sie damit gemeinsam umgehen wollen – auch mit Dingen, die sie vielleicht selber gar nicht ändern können, oder die unvereinbar scheinen.

Oft hat ein gutes Sales Coaching zum Inhalt, im Vertrieb Aufgaben zu priorisieren und danach das Handeln zu steuen. Ich kann dazu eine ehemalige Kollegin empfehlen, die als Sales Caoch mit https://mentalsender.de/ in diesen Themen unterwegs ist.

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