Replik auf Handelsblatt-Artikel

New Work, New Normal, New Firlefanz

Drei Denkfallen der aktuellen New-Work Diskussion
Carlos Frischmuth, Managing Director bei dem Personaldienstleister Hays, wirft einen kritischen Blick auf die New Work Diskussion.
Mark Poppenborg
Gemeinsamkeiten und Widersprüche zum Thema New Work
Stephan Heiler, Geschäftsführer der Heiler Glas GmbH
Philipp Simanek
New Work im klassischen Mittelstand
Gadgets der Generation Y
Elisabeth Neuhaus
Wir wollen keinen nutzlosen Bullshit machen
New York Skyline
Lars Vollmer
Was ich in New York über New Work gelernt habe
Von New Work zu Lars‘ neuem Optimismus
Fabian Raabe
Von New Work zu Lars' neuem Optimismus

Einen Fall wie den von Renate würde ich als New Work bezeichnen: Eine Organisation (ein lebendiges System also) sieht sich neuen Marktanforderungen ausgesetzt und findet Wege, diesen zu begegnen. Diese Neuerungen, Überraschungen und Herausforderungen waren vor – sagen wir – 50 Jahren selten, heute treten sie häufiger auf. Manche nennen das die „VUCA-Welt“.

Am letzten Oktoberwochenende hat sich das Handelsblatt in der Freitagsausgabe kritisch mit dem Thema auseinandergesetzt und wurde dafür (zumindest in meiner Filterblase) viel gelobt. Als ich zum Einstieg in den Artikel „New Work – Im Bann der guten Laune“ die Arbeitsdefinition gelesen habe, war ich kurzzeitig ebenfalls echt aus dem Häuschen. „Endlich kommt das, was wir Future Leadership nennen im Wirtschaftsmainstream an! Yayy!“ Es folgte dann schnell Verwirrung und Ernüchterung, aber eins nach dem anderen.

Der Artikel sagt, es gehe grundsätzlich um mehr als mobiles Arbeiten und definiert New Work als „grundlegende Erkenntnis, dass Unternehmen ihre Arbeitsorganisation und Führungsstruktur verändern müssen, weil die Marktdynamik sie dazu zwingt.“ Anschließend wird analysiert und resümiert, dass New Work häufig an der digitalen Infrastruktur scheitere und nur dann eine Chance sein könne, wenn Führungskräfte es schaffen, die Sinnhaftigkeit der Arbeit in den Vordergrund zu stellen, Mitarbeiter Selbstkompetenzen haben und natürlich auch ein Bekenntnis von „oben“ zu New Work. Hallelujah!

Ich weiß beim Lesen solcher Artikeln immer nicht, ob ich nun weinen oder lachen soll. Vor allem aber habe ich den Impuls zu verstehen… In dem Artikel liegt die korrekte Definition auf dem Tisch: New Work ist die Reaktion einer Organisation, auf etwas von außen, nämlich auf dynamische Probleme. Und dann wird in dem kompletten Artikel darüber gesprochen, dass Mensch und Kultur Schuld seien und es ja nicht für jede Organisation gut sei „New Work zu machen“, sondern dass man Reifegrad, Kultur und die Menschen und ihre Fähigkeiten und Bedürfnisse beachten muss. Das passt für mich erstmal nicht zusammen, was passiert da also?

Konkret erläutert das Handelsblatt drei Fallen, die es zu vermeiden gilt, damit das ganze Vorhaben New Work nicht in Frust endet. Ich versuche es am konkreten Beispiel zu verstehen:

Falle 1: Die Hybrid-Falle

Romantische New Work Hypothese: „New Work ist irgendwas mit schickem Arbeitsplatz und von Zuhause arbeiten.“

Es wird kritisiert, dass viele Firmen vom fancy New-Work-Kickertisch-Office ins Corona-Home-Office und jetzt in eine hybride Lösung schlittern. Dies wird vor allem deshalb kritisiert, weil

  1. die Karrierechancen der Menschen, die mehr von Zuhause arbeiten scheinbar schlechter sind,
  2. Mitarbeiter und Führungskräfte diesen Herausforderungen nicht gewachsen seien (Stichwort: Selbstmotivation und Führen auf Distanz),
  3. Desksharing (als häufige Konsequenz davon, dass nicht immer alle Mitarbeiter da sind) zu viele Rüstzeiten nach sich ziehe und
  4. Innovation durch virtuelle Zusammenarbeit sinke.

New Work ist also etwas, das durch eine Irritation von außen initiiert wird und dennoch ist die Analyse der Entscheidung ob Präsenz oder nicht am Faktor Mensch angelegt. Damit folgt das Handelsblatt dem aktuell gängigen Erklärungsmuster Veränderungen über Menschen herzustellen und auch von ihnen abhängig zu machen. Ich möchte eine Alternative vorschlagen:

Komplexe und dynamische Problemlösung, geprägt von vielen Überraschungen erfordert einen engen und schnellen Austausch im Team. Dieser Austausch ist oft virtuell deutlich schwerer als in Präsenz, zumindest erfordert er eine gut eingespielte und funktionierende digitale Infrastruktur und – noch viel wichtiger – ein passendes Organisationsdesign. Viele Organisationen jedoch sind nach Funktionen geschnitten und funktionieren über Steuerung, Regeln und Prozesse. Crossfunktionale Zusammenarbeit, die man für dynamische und komplexe Probleme braucht, ist im System schlicht nicht angelegt. Die Individuen wollen sie vielleicht, das System sieht sie aber nicht vor. Diese Art der Probleme werden in solchen Organisationen oft auf der Hinterbühne gelöst, sprich: in der Kaffeeküche. Wenn die Kaffeeküche jetzt geschlossen oder unterbesetzt ist (wegen Corona oder weil immer nur ein Teil der Mitarbeiter im Büro ist) leidet der informelle Austausch. Und dann leidet die Wertschöpfung und vor allem das Thema Innovation.

Also Ja: Möglich, dass es Bereiche gibt, in denen die Leistung oder die Innovationskraft durch, wie auch immer geartete, Home Office Arbeit leidet, aber nicht, weil die Menschen nicht wollen oder die Kultur nicht passt, sondern weil das systemseitig schon immer so angelegt ist. Es fällt nur jetzt mehr auf als vorher, weil die Kompensationsmechanismen der Organisation weggefallen sind! Eine pauschale, über alle unterschiedlichen Wertschöpfungsbereiche angelegte Regelung wird hier nichts nützen. Es gilt die Organisation grundsätzlich entsprechend aufzubauen und so innovationsgetriebende Zusammenarbeit möglich zu machen.

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Falle 2: Die Karriere-Falle

Romantische New Work Hypothese: „New Work ist irgendwas mit ohne Führungskräfte.“

Die Kritik: Selbstorganisation funktioniert nicht immer. Wir brauchen heute immer noch Hierarchie. Soweit nicke ich noch absolut zustimmend. Warum ist das laut Handelsblatt so?

  1. Selbstorganisation geht nicht bei großen Firmen und wenn die Mitarbeiter nicht eigeninitiativ sind,
  2. Mitarbeiter wollen geführt werden,
  3. Menschen wollen diese Art der Karriereoption.

Und die Lösung? Besser gute Führung statt keine Führung.

In diesem Abschnitt wird sich außerdem an etwas erinnert, was New Work ja sein sollte: Irgendwas was durch einen Impuls von außen angestoßen wird. Sie schreiben, „je mehr eine Aufgabe interdisziplinäres und kreatives Denken erfordert, desto eher eignet sie sich für Strukturen jenseits der klassischen Hierarchie.“

Die Aufgabe gibt also vor, ob Hierarchie hilfreich sein kann oder eben eher stört. Und das hat mit dem dahinterliegenden Mechanismus zu tun: Hierarchie (also Steuerung) ist die Zurverfügungstellung von Wissen. Wir kennen also die Lösung und müssen nun dafür sorgen, dass diese so umgesetzt wird. Dafür brauchen wir Macht, sprich Hierarchie.

Immer wenn wir die Lösung nicht kennen, stört jedoch genau das! Hier brauchen wir die Möglichkeit, dass der besten Idee für ein spezifisches Problem gefolgt werden kann. Und die kommen eben nicht immer von derselben Person. Wechselnde Führung ist also das Zauberwort. Oder anders: Führung, die sich je nach Problemstellung selbstorganisiert ausrichten kann.

Ich empfehle auch hier Future Leadership. Konkret: Den Blick auf die Wertschöpfung zu legen, nicht auf die Personen und zu differenzieren, welcher Mechanismus der Führung zu ebendieser passt. Die Problemstellung sollte den Diskurs und die Analyse leiten und nicht die Wünsche, Fähigkeiten oder eben nicht-Fähigkeit der Mitarbeiter und Führungskräfte.

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Falle 3: Die Purpose-Falle

Romantische New Work Hypothese: „New Work ist irgendwas mit Sinn.“

Die Argumentationskette dieser Falle lautet, dass zum einen die ganze Purpose Maschinerie vollständig vom operativen Geschäft der Organisation entkoppelt sei und zum anderen viele Menschen einfach nur Geld verdienen wollen und ihnen die Frage nach dem Sinn „schlicht zu groß“ sei. Dazu habe ich kürzlich hier etwas geschrieben, daher spare ich den Punkt nun aus.

Des Weiteren sei im New Work Kosmos „Arbeit“ immer etwas positives und neutrale oder gar negative Gefühle nicht erlaubt. Darauf wird aufgebaut und angeführt, dass dieser „Zwang zur Kumbaya-Mentalität“ vor allem dann problematisch wird, „wenn Belegschaften darüber ihre Konfliktfähigkeit verlieren“, denn die braucht es zur Weiterentwicklung. Kritik sei beim informellen Gespräch in der Kaffeeküche leichter gewesen als virtuell.

Der Punkt an sich ist absolut valide! Konflikte sind der Seismograph für Entwicklung und absolut nötig. Aber doch nicht die Belegschaft (= die Menschen) verliert durch virtuelles Arbeiten ihre Konfliktfähigkeit, sondern die Organisation als solche verliert sie. Wie beschrieben wurde hat auch schon in der „Old Work“ Konflikt vornehmlich auf der Hinterbühne, personifiziert in der Kaffeeküche stattgefunden. Der Konflikt wurde also nicht von und in der Organisation zur Weiterentwicklung ausgetragen und genutzt. Das ist ein Problem, keine Frage, aber keins das durch New Work kommt, sondern eins das mit modernem Organisationsdesign gelöst werden kann.

Fazit

Das Handelsblatt zieht das Fazit in sich folgerichtig: Es ist gut „mit New Work zu experimentieren“, denn man komme mit New Work an Innovationspotenziale, die sich sonst mit Kennzahlen und Steuerung beißen. Und man solle bitte nicht einfach versuchen zu reproduzieren, was Google macht. Besser sei es, New Work mit den fähigen und motivierten Mitarbeitern zu testen und das auch nur, wenn der Reifegrad und die Kultur der Firma dazu passen.

Ich halte dagegen: New Work ist kein Rezept, was man „macht“. Organisationen sind gut beraten, auf neue Marktherausforderungen mit unterschiedlichen Arten und Weisen der Arbeitsorganisation zu reagieren. Dies tun sie am besten in vor dem Rest der Organisation geschützten Experimenten. Im Fokus der Veränderungsmaßnahme sollte das zu lösenden Problem der Wertschöpfung stehen. Jeder Steuerungsmechanismus, der für die Lösung des Problems nicht nützlich ist, sollte in diesem experimentellen Rahmen strukturell ausgeschlossen werden. Jede Organisation sollte eine individuell passende Lösung für das eigene, konkrete Wertschöpfungsproblem finden. Erfolgsgeschichten anderer Organisationen können hier als Inspiration dienen, aber nie als Blaupause. Die Kultur der Firma ist dabei NICHT Gestaltungsgegenstand, sondern Ergebnis der Spielregeln. Jede Organisationseinheit bekommt die Kultur, die sie verdient.

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