Ein Grund, um aufzustehen?
Purpose ist eines der beliebten Buzzwords der letzten Jahre.
Ich hab es bereits hier und da erwähnt: Oberflächlich habe ich bisher eher von der Corona-Krise profitiert – sowohl privat als auch beruflich: Mehr Zeit mit der Familie, mehr Zeit für Sport, mehr wirtschaftlicher Erfolg u.ä.m.
Das sind oberflächliche Errungenschaften, die mich freuen. Noch mehr freut mich aber, dass ich seit einigen Wochen ein verstärktes Gefühl von Fokus, Klarheit und Motivation spüre. Ich bin viel schneller im viel zitierten Flow – dem Zustand, in dem alles andere in den Hintergrund rückt und man voll bei der Sache und bei sich ist.
Dieser Flow spornt mich natürlich extrem an und erleichtert es mir, morgens voller Tatendrang aufzustehen. Er liefert regelrecht den Grund dafür, wieder einen Wecker zu stellen – eine Angewohnheit, die ich zwischenzeitlich abgelegt hatte (und das als Privileg verstand).
Diese Zunahme an Flow-Zuständen führe ich darauf zurück, dass wir (Achtung: Eigenwerbung unvermeidlich) mit unseren neuen Leistungen und Angeboten das Gefühl massiv gesteigerter Wirksamkeit erleben.
Quasi am laufenden Band bekommen wir Rückmeldungen, gewinnen Eindrücke, machen Beobachtungen und führen Gespräche, die darauf hindeuten, dass unsere Arbeit einen größeren Unterschied macht als bisher.
Ich merke, dass mich dieser Erfolg ständig an die Urmotivation erinnert, die uns überhaupt zu der Gründung von intrinsify verleitet hat, nämlich für mehr Freiheit und Fortschritt in der Arbeitswelt sorgen zu wollen. An mir selbst zu beobachten, dass ich diese beabsichtigte Wirkung erziele, das motiviert mich. Wirksamkeit ist das Schlüsselwort.
Das größte Geschenk, das Unternehmen sich selbst und ihren Mitarbeiter machen können, ist die Gelegenheit zur Leistung zu schaffen. Keine künstliche Belohnung kann das ersetzen.
Corona hat mir also gewissermaßen eine Rückbesinnung auf das ermöglicht, worauf es mir mit meiner Arbeit ankommt.
Und damit biegen wir auf die thematische Hauptstraße ein: Purpose.
Braucht es einen Purpose?
Wenn im Unternehmenskontext von Purpose gesprochen wird, dann ist damit zumeist ein höherer Zweck gemeint. Eine Existenzberechtigung, der sich alles unterordnen soll. Gerne auch als „das WHY“ bezeichnet.
Der im Wort „Warum“ mündende Übersetzungsversuch wird meist zugunsten des Wortes „Wozu“ korrigiert. Spitzfindigen Purpose-Experten scheint das wichtig zu sein. Und ich möchte nicht abstreiten, dass es einen relevanten Unterschied machen kann.
Wichtiger erscheint mir aber die grundsätzliche Proposition: Fürsprecher der Purpose-Idee behaupten, erfolgreiche Unternehmen hätten für sich geklärt, wozu es sie gibt. Als legendäres Beispiel wird in dem ebenso legendären Simon Sinek TED-Vortrag immer Apple genannt.
FÜHRUNG 2024
und wie du das 2024 mit den wirksamsten Hebeln ändern kannst.
Aber stimmt das wirklich? Macht ein Purpose Unternehmen erfolgreicher?
Der unromantische aber ebenso unnegierbare Zweck eines Unternehmens besteht darin, einen Gewinn zu erzielen. Zumindest keinen Verlust. Dem muss sich alles unterordnen, weil es sonst kein Unternehmen mehr gibt, das sich einem selbstgesetzten Purpose unterordnen könnte.
Manche würden jetzt argumentieren, dass ja eben dieser selbstgesetzte Purpose zu dem Gewinn führen würde. Sie würden mir die vorangegangene Aussage also (zurecht) als Trivialität auslegen und darauf hinweisen, dass das Mittel zu dieser Hygienebedingung (Gewinn) der Purpose sei.
Das ist richtig und falsch zugleich.
Definitiv falsch ist davon auszugehen, dass die bloße Klärung der „Wozu-Frage“ zum Erfolg führt. Der Unternehmenserfolg hängt (natürlich) von vielen weiteren Faktoren ab.
Aber auch die Behauptung, ein Purpose sei grundsätzlich nützlich, sei also eine Voraussetzung für Erfolg oder diesem zumindest zuträglich ist nicht universell haltbar.
Um das zu begründen, beschränke ich mich hier auf eine wesentliche Funktion, die ein Purpose erfüllen kann. Und damit auf ein Argument pro Purpose und ein Argument contra Purpose.
Pro Purpose: Ideologien sind zeitstabiler
Der von Simon Sinek zurecht angeführte Nutzen eines Purpose ist seine ideologische Funktion, auch wenn er das so nicht nennt. Denn hinter jedem Purpose steckt eine ideologische Idee. Eine Motivation, etwas zu verändern oder anders zu machen. intrinsify will für mehr Freiheit und Fortschritt in der Arbeitswelt sorgen. Apple will mit allem was es tut den Status Quo hinterfragen. (Habe ich uns da gerade mit Apple verglichen? Größenwahnsinn!!!)
Das gute an Ideologien ist, dass sie in aller Regel zeitstabiler sind als die Wirtschaft. Ideologien können die Schnelllebigkeit der gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse überleben. Das setzt allerdings voraus, dass ihre Anhänger (Kunden und/oder Mitarbeiter) ihren Idealismus bereitstellen. Organisationen, die sich an Ideologien orientieren, haben es deshalb leichter, eine gewisse Stabilität zu gewährleisten. Das macht Sekten, Sinngemeinschaften u.ä.m. so attraktiv.
Wenn es einem Unternehmen also gelingt, durch die Orientierung an einer Ideologie dafür zu sorgen, dass Kunden und/oder Mitarbeiter auch dann treu bleiben, wenn sich die ökonomischen Rahmenbedingungen verändern, dann können sie davon wirtschaftlich profitieren. Sie machen dann einen Moralertrag.
Platt formuliert: Ein iPhone kaufen die Apple Jünger auch dann, wenn es seinen Wettbewerben in vielen Aspekten technisch unterlegen ist.
Anderes Beispiel: Ein Unternehmen, dem es gelingt seinen Mitarbeitern eine Ersatzreligion nebst Familie und Campus bereitzustellen, kann sich auf eine hohe Loyalität einstellen.
Ein klarer Punkt auf dem Konto des Purpose.
Contra Purpose: Ideologiefreie Unternehmen sind wandlungsfähiger
Der Vorteil des Purpose ist jedoch zugleich sein Nachteil. Das sogenannte Identitätsparadox besteht aus der Erkenntnis, dass eine Identität sich ändern muss, um dieselbe bleiben zu können. Das liegt daran, dass kein System (egal ob Bewusstsein oder Unternehmen) ohne seine Umwelt existiert. Es existiert ja nur als Unterschied zu seiner Umwelt. Ein Unternehmen könnte es ohne seinen Markt nicht geben.
Dieser Markt, die Umwelt des Unternehmens also, ändert sich aber ständig. Heute mehr denn je. Deshalb müssen sich auch Unternehmen ständig ändern.
Sie müssen ihre Geschäftsmodelle weiterentwickeln oder gar ersetzen, sie müssen sich organisatorisch umstellen, sie müssen womöglich ihren Firmensitz verlagern, sie müssen neue Produkte entwickeln, brauchen andere Talente, usw.
Genau dabei kann ein Purpose aber stören. Je moralisch aufgeladener der Purpose des Unternehmens ist, desto größer ist die Gefahr, dass sich das Unternehmen in widersprüchlichen Anforderungen verstrickt. Der Rationalität der Wirtschaft kann dann eine weitere Rationalität entgegenstehen. Der Humanismus beispielsweise. Oder der Veganismus. Oder der Ökologismus. Oder der Agilismus.
Diese Interessensunterschiede führen zu Kommunikationsblockaden, die sich meist in destruktiven Konflikten manifestieren. Eine Entscheidung kann beispielsweise gut für den Ertrag, aber vermeintlich unfair für manche Mitarbeiter sein. Oder eine Entscheidung kann 340 deutsche Arbeitsplätze sichern, setzt aber eine Partnerschaft mit einem Unternehmen voraus, das in ungarischer Staatshand ist und dessen Schwesterunternehmen vor 20 Jahren Kleinteile für die Rüstungsindustrie gefertigt hat und das womöglich noch mal tun könnte.
Das Problem an den -ismen ist eben, dass jeder die Linientreue anders beurteilt. So kann sich ein Unternehmen in endlosen Klärungsversuchen verhaken und als Folge des Purpose-Hype im Schönheitswettbewerb sterben.
Ein Teil der New Work Szene hat diese Schönheitswettbewerbe regelrecht industrialisiert. Xing zum Beispiel, mit seinem New Work Award, bei dem Unternehmen nicht für den wirtschaftlichen Erfolg ausgezeichnet werden, der Arbeitsplätze und zufriedene Mitarbeiter schafft, sondern für die Anpassung an ein Ideal.
Es ist also ohne weiteres möglich und auch praktisch beobachtbar, dass ein Purpose den Erfolg eines Unternehmens leicht oder gar auf existenzbedrohliche Weise gefährdet.
Die in der Folge des Purpose beobachtbare Identifikationszunahme eines Mitarbeiters mit „seinem“ Unternehmen bedeutet zudem, dass er seine Identität zu großen Teilen aus der Arbeit im Unternehmen bezieht. Das macht Veränderung tendenziell unattraktiver, denn es impliziert auch eine Neuerfindung oder zumindest Weiterentwicklung der individuellen Identität.
Nicht umsonst sind Unternehmen, in denen ausgeprägte, teils familienähnliche Freundschaften unterhalten werden, häufig immuner gegenüber Veränderungen. Sie vereinnahmen einen größeren Teil ihrer Mitglieder und geben damit die Vorteile einer Zweckgemeinschaft tendenziell auf.
Fazit
In Summe bin ich eher Purpose-Skeptiker. Das liegt wohl auch an dem modischen Beigeschmack, der ihn aktuell begleitet. Aber wie gezeigt, kann der Purpose auch sehr erfolgsfördernd wirken. Und ich bin in jedem Fall von der positiven Wirkung eines Unternehmers überzeugt, der sich mit dem Wirken seines Unternehmens identifizieren kann.
Da der Unternehmer in den meisten inhabergeführten Unternehmen eine zentrale Referenz darstellt, sind seine Motive aus der Organisation kaum rauszuhalten. Es macht also einen Unterschied, was der Unternehmer will (und nicht will).
Hallo Mark,
ich musste ein wenig schmunzeln, auf mich wirkt Dein Beitrag in sich widersprüchlich. Warum? Nun, Du beschreibst Dich als „Purpose-Skeptiker“. Was genau ist das denn? Versuchst Du als Skeptiker, vorhandene Kräfte des Lebens auszublenden? Gleichzeitig schreibst Du von Deiner tiefen Urmotivation, „… im Flow … mehr Freiheit und Fortschritt in die Arbeitswelt bringen zu wollen“. Da sprichst Du selbst davon, welche Kräfte es in Dir freisetzt. Was wäre denn, wenn Du genau damit bereits Deinen „Purpose“ gefunden hast und lebst? 😉
So wie ich das wahrnehme, machen oftmals genau die Menschen einen Hype um den Begriff „Purpose“, die ihren eigenen „Zweck“ noch nicht gefunden haben und suchend umher irren. Nur dann benötigt man ja für die eigene Suche überhaupt einen Begriff, um zu beschreiben, was man sucht. In dem Moment, wo wir wissen, was unsere tiefste Motivation ist, wird es irrelevant, das als Purpose, Zweck der Bestimmung oder das große Why zu bezeichnen. Da es zu einer gelebten Handlung wird und der ganze Hype drumherum nicht mehr notwendig ist.
Was mir noch auffällt beim Lesen Deiner Zeilen: Ein Purpose ist immer da. Jeder Mensch, jedes Projekt, jedes Unternehmen HAT bereits einen Purpose ab dem Moment, an dem wir geboren wurden oder ein Unternehmen gegründet wurde. Doch oftmals ist dieser Purpose eben unbewusst – wirken tut er aber trotzdem (wie die Seele in uns Menschen eben auch schon immer da ist und eine Wirkung auf uns hat, selbst wenn wir nicht an eine Seele glauben oder keinen bewussten Zugang dazu haben). Nur bekommt ein Projekt oder eine Firma eben viel mehr Klarheit darüber, wenn man sich diesem bewusst wird. Um den Mitarbeitern auch die Möglichkeit zu geben, sich darin wieder zu finden und eine tiefere Motivation darin zu finden.
Und selbst dann, wenn jemand mit seiner Firma nur „Geld verdienen“ möchte, dann kann das ja bereits der Purpose sein. Es geht also nicht darum, dass ein Unternehmen einen Purpose „haben muss“, so als würde man ein Etikett dran kleben und sagen, „das ist unser Purpose“. Sondern es geht darum, das was eh schon im Unternehmen als Purpose DA IST, bewusst zu machen und die darin verborgene Kraft, die Motive und die Ausrichtung freizusetzen. Das ist ein Akt höchster Authentizität und keine Ideologie.
Deinen Vergleich mit „Gewinne erzielen“ empfinde ich so, als würde man Äpfel mit Birnen vergleichen, da es zwei ganz unterschiedliche Ebenen sind. Um mal ein Bild zu skizzieren: Wir Menschen brauchen Luft zu Atmen wie Unternehmen eben auch Gewinne brauchen, um zu atmen (überleben). Doch ich bin als Mensch nicht hier auf der Welt, um (nur) zu atmen. Genauso wenig sind Unternehmen eben nicht nur da, um Gewinne zu erzielen. Atmen oder Gewinne erzielen sind Grundbedürfnisse. Einen Purpose umzusetzen und tieferen Motivationen Ausdruck zu verleihen ist ein Akt von Selbstausdruck und natürlich muss dafür die Basis des Überlebens gesichert sein. Eben wie Maslow das auch schon aufführte.
Just my 2 Cents.
Viele Grüße
Holger
Cooler Beitrag, danke Holger.
Hallo Holger,
finde ich auch einen tollen Beitrag von dir.
Eines möchte ich aber gerne ergänzen zu deinem letzten Absatz:
Menschen haben praktisch nie Probleme mit dem Atmen. Auf mit Essen und Trinken haben Menschen, zumindest in der sogenannten 1. Welt, eigentlich nie Probleme.
Aber besonders in einem dynamischen Umfeld werden Unternehmen hingegen oft sehr schnell auf ihre Grundbedürfnisse (finanzielles Überleben) zurückgeworfen. Und dann ist es wichtig, dass das Unternehmen einen Purpose hat, der nicht im Weg steht (wie von Mark beschrieben).
Moin Marc
ich würde Holger beipflichten in dem Punkt, dass der Purpose im Zweifel eh da ist. Häufig spiegelt er die Grundmotive der Gründer wieder. Ich finde es sehr nützlich und hilfreich diese zu kennen, denn das mach es wesentlich leichter, in die selbe Richtung zu laufen. Es kann also gemeinsames Handeln erleichtern. Und das macht im zweifel effizient und dadurch evtl. erfolgreicher. Darüber hinaus kann es mich motivieren, wenn es zu meiner eigenen Überzeugung passt. Daher packe ich vielleicht mehr Elan in mein Handeln, was mich ebenfalls erfolgreicher machen könnte. Wir sind emotionale Wesen. Daher sind uns Dinge wie Purpose auch emotional wichtig und das hat einen erheblichen Einfluss auf unsere Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit.
Die „Gefahr“ ist vielleicht, dass man dadurch Leute anzieht oder hält, die ebenfalls mit diesem Purpose übereinstimmen. Dadurch geht mir ggf. Diversität verloren, die in turbulenten Zeiten von Vorteil sein könnte.
Es ist also wie so häufig eine Abwägung. Ich halte es für erheblich besser, sich Purpose zunutze zu machen und halte die Gefahren für erheblich geringer.
Natürlich kann man das ganze auch zu einem Purpose-Theater verkommen lassen, aber das sagt ja nichts über die Sinnhaftigkeit eines „vernünftigen“ Einsatzes.