Erfolgsgeschichten aus der Praxis

Wie diese Unternehmen die individuellen Zielvereinbarungen abgeschafft haben

Beispiele aus der Mittelstandspraxis
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„Sei kein Prophet im eigenen Land“
Rostige Milchkanne
Lars Vollmer
Die Kraft des Gründungsmythos
Mehr Zeit fürs Wesentliche ohne Zielvereinbarungen
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intrinsify Teammeeting
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Wie unser Teammeeting abläuft
Georgiy Michailov im MarkUp Podcast mit und von Mark Poppenborg
Mark Poppenborg
10 Leitsätze fürs Leben vom ‘Lex Fridman Deutschlands’

Individuelle Zielvereinbarungen und Boni werden häufig eingesetzt, um Mitarbeiter zu motivieren. Die versteckten Kosten dieses Ansatzes sind jedoch dramatisch. Viele Unternehmen bezahlen diesen Irrtum mit egoistischen Entscheidungen, Verantwortungslosigkeit und enttäuschten Kunden.

Deshalb entscheiden sich immer mehr Organisationen, die individuellen Zielvereinbarungen und Boni abzuschaffen. Mit durchschlagendem Erfolg. Wir haben einige dieser Unternehmen porträtiert.

Warum individuelle Zielvereinbarungen schaden

Individuelle Zielvereinbarungen und daran gebundene Bonuszahlungen haben lange Tradition. Bereits Frederick Taylor führte Ende des 19. Jahrhunderts im Rahmen seines wissenschaftlichen Betriebsführungsansatzes leistungsabhängige Vergütungsmodelle ein. Zusammen mit anderen bahnbrechenden Methoden erzielte er damit nie dagewesene Produktivitäts-, Erfolgs- und Mitarbeiterzufriedenheitssteigerungen.

Allerdings führte er sie unter anderen Vorzeichen ein. Taylor hatte es damals nahezu ausschließlich mit Routinearbeit zu tun. Jeder Arbeitsschritt konnte bis ins letzte Detail beschrieben und kontrolliert werden. Denken war nicht erforderlich. Geschweige denn Kreativität. Die Leistung der Mitarbeiter war objektiv miteinander vergleichbar. Und damit war klar: Individuelle Leistungsanreize sind vernünftig.

Heute sieht das anders aus. Auch wenn die Routinewertschöpfung noch immer die Überhand hat, sind die wenigsten Mitarbeiter ausschließlich mit Routinetätigkeiten beschäftigt. In der Regel müssen sie ihren Verstand und ihre Kreativität nutzen, um Lösungen für Probleme zu finden, die sie so noch nicht gelöst haben.
Ein starres individuelles Ziel steht dem Gesamterfolg dabei genauso im Weg, wie es die Erwartung an einzelne Fußballspieler täte, eine minimale Laufleistung, Passquote oder Anzahl an Torschüssen zu erzielen.

In einer idealen Welt fällt die Problemlösung mit der Zielerreichung zusammen. In der realen Welt jedoch bewegt sich die Welt schneller als jedes Ziel es könnte. So verkommt eine gut gemeinte Steuerungs-Idee zur mechanistischen Management-Illusion.

Außerdem wird übersehen: Mitarbeiter erbringen Leistung im Verbund. Selbst der Mitarbeiter, der auf den ersten Blick wie ein Einzelkämpfer wirkt, ist selten frei von Abhängigkeiten. Auch der auf sich gestellte Vertriebler, dessen Provision einer gottgegebenen Selbstverständlichkeit gleichzukommen scheint, braucht in der Regel seine Kollegen. Und sie brauchen ihn.

Was verkauft sich im Markt? Wie viel Auftragseingang kann das Unternehmen noch verdauen? Bei welchen Detailfragen sind Fachkollegen gefragt? Alles Aspekte, die berücksichtigt werden müssen, damit der Gesamterfolg des Unternehmens nicht aus dem Blick gerät.

Individuelle Zielvereinbarungen verführen Mitarbeiter jedoch zum Alleingang. Damit steht der Mitarbeiter stets vor einem Dilemma: Schadet er sich selbst, indem er sein Ziel ignoriert, oder schadet er dem Unternehmen, indem er an sich selbst denkt?

Für eine deutlich ausführlichere Erläuterung zu den Folgen individueller Zielvereinbarungen und Boni, sowie einen nützlichen Motivationskiller-Check, den ihr im Unternehmen gemeinsam einsetzen könnt, empfehle ich unseren Deep D!ve mit dem Titel »Wie Führungskräfte und Organisations­entwickler für motivierte und eigenverantwortliche Mitarbeiter sorgen OHNE Zielvereinbarungen und Beurteilungssysteme.«, der über den folgenden Link für € 35 erworben werden kann:

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Praxisberichte

Als ich vor einigen Monaten unsere Community dazu aufrief, uns Geschichten aus ihrer Praxis zu erzählen, trudelten etliche Berichte ein. Vielen ist meine Kollegin Kim Kachelmann mit ausführlichen telefonischen Gesprächen auf den Grund gegangen. Im Folgenden findest Du ihre Zusammenfassungen:

Ohrmann GmbH – Sondermaschinenbau

Die Ohrmann GmbH ist ein Weltmarktführer, der spezialisiert ist auf Sondermaschinen und die Automatisierung rund um die Zuführung und Montage von Dichtungen.

Ausgangssituation

Alrun Ohrmann übernahm das Unternehmen zusammen mit ihrer Schwester von ihrem Vater. Dieser hatte aufgrund seiner subjektiven Leistungseinschätzung Prämien an die Führungskräfte gezahlt.

Bisherige Verbesserungsversuche

Sie empfand die Subjektivität für sich selbst als unpassend und entschied sich deshalb, nach einem objektiveren Ansatz zu suchen. Sie etablierte ein auf der Erreichung von Zielen basierendes System.

Obwohl das Unternehmen erfolgreich wirtschaftete und die Führungskräfte hart arbeiteten, wurden die individuellen Ziele häufig nur zu 60 % oder weniger erreicht – meist weil andere Projekte, aus unternehmerisch sinnvollen Gründen spontan, priorisiert wurden. Um den Einsatz dennoch zu belohnen, wurde häufig ein Auge zugedrückt und der Bonus dann doch in voller Höhe bezahlt.

Das frustrierte zunehmend, denn der recht große Aufwand zur Vereinbarung der Ziele und zur Verwaltung des Systems schien komplett sinnlos zu sein. Das ganze Zielsystem hatte sich zum Selbstzweck entwickelt.

Durchbruch im Denken

Alrun beschreibt selbst, wie sie zu Beginn der Corona-Pandemie bei einem Spaziergang länger über die Zielvereinbarungen nachdachte und sich zum ersten Mal die ganz grundsätzliche Frage stellte, ob diese in ihrem Unternehmen noch Sinn machen.

Die Welt ändert sich. Die Prioritäten verschieben sich entsprechend mit. Erfolg ist nur zu erzielen, wenn alle das große Ganze im Blick haben, anstatt auf sich und ihre Ziele konzentriert zu sein. Am Ende war für sie klar: Es braucht eine Alternative.

Konkrete Maßnahmen

Alrun schlug ihrer Schwester und den beiden anderen Geschäftsführern vor, die Zielvereinbarungen abzuschaffen. Allerdings nicht ohne Ersatz. Das Führungsteam wollte die Arbeit am System belohnen. Deshalb entstand eine neue Idee.

Alle zwei Wochen fand ein strukturiertes Gespräch anhand eines Kanban-Boards statt, in dem alle größeren Projekte und Aktivitäten im Unternehmen reflektiert werden sollten. Das neue gemeinsame Ziel aller Führungskräfte war kein inhaltliches, sondern bestand einzig und alleine in der Erwartung an dem Meeting teilzunehmen. Fehlen ohne guten Grund führte zur verfehlten Zielerreichung.

Alrun hat mit ihren Kollegen damit die Wahrscheinlichkeit dafür erhöht, dass mehr am System gearbeitet wird, nicht nur im System.

Die Idee traf zwar zunächst auf Skepsis, diese verflog jedoch schnell. Und nach kurzer Zeit war das System etabliert. Der Aufwand für die Umstellung war minimal und für die Verwaltung fiel quasi keiner an.

Unerwartete Nebenwirkungen

Auf unsere Frage nach Überraschungen oder Nebenwirkungen antwortete Alrun wie aus der Pistole geschossen: „Überrascht hat mich nur, dass wir uns eine Welt ohne Zielvereinbarungen gar nicht vorstellen konnten.“

Eine personelle Nebenwirkung hatte die Umstellung ebenfalls: Eine Person konnte sich mit dem neuen System nicht anfreunden und verließ das Unternehmen, was für beide Seiten schmerzhaft war – an der Überzeugung für die Sache jedoch nichts änderte.

Folgen der Veränderung

  1. Der Fokus ist heute auf den wirtschaftlichen Erfolg des Gesamtunternehmens gerichtet, nicht mehr auf die Erreichung persönlicher Ziele.
  2. Die Kooperation und gegenseitige Unterstützung hat sich signifikant verbessert.
  3. Das neue System hat eine Korrektivfunktion: Da früher jeder seine Ziele erreichen wollte, hat auch jeder ohne Rücksicht auf andere auf Ressourcen des Unternehmens zugegriffen und Projekte aus Eigeninteresse priorisiert. Heute korrigiert sich der Übermut des einen und die Zurückhaltung des anderen mittels des Kanban-Boards „wie von selbst“.

Alrun ist selbst sehr zufrieden mit den Entwicklungen, räumt jedoch ein, dass die Arbeit an diesem System sicher noch nicht zu Ende ist. Bei unserem letzten Gespräch stand die Entwicklung eines übergeordneten Gesamtziels zur Debatte, das die Teilnahme an den Kanban-Board Meetings ablösen würde. Work in progress!

Deutlich ausführlicher berichtet Alrun Ohrman von ihrem Weg in unserem intrinsify Podcast. Die Episode „Mehr Zeit fürs Wesentliche ohne Zielvereinbarungen“ hörst Du hier.

Generationenhaus Neubad – Soziale Einrichtung

Das Generationenhaus Neubad ist ein Non-Profit-Unternehmen in der Schweiz und basiert auf der Idee des Zusammenlebens verschiedener Generationen unter einem gemeinsamen Dach.

Ausgangssituation

Dominik Lehmann ist Geschäftsführer des Generationenhaus Neubad. Bis vor sechs Jahren war das Unternehmen noch traditionell aufgestellt: 142 Mitarbeiter, zwei große Bereiche und klassische Managementinstrumente wie Mitarbeitergespräche und Leistungsbeurteilungen.
Die Leistungsbeurteilung hatte drei mögliche Kategorien: Gleichbleibende Leistung, eine Stufe aufsteigen oder zwei Stufen aufsteigen – die letzten beiden Optionen führten zu einer Lohnerhöhung. Das Budget war allerdings begrenzt, sodass nie alle Mitarbeiter eine positive Beurteilung und entsprechende Lohnerhöhung erhalten konnten.

Durchbruch im Denken

Der Durchbruch kam für Dominik auf Umwegen. Zunächst hat er sich bei seinem MBA-Abschluss mit einem Transferprogramm beschäftigt. Sein Professor riet ihm im Zuge dessen „Lies mal den Luhmann“. Der Durchbruch kam mit der Systemtheorie und der Erkenntnis – Organisationen bestehen NICHT aus Menschen. Dominik stieß auf intrinsify, las das Buch „Wir führen anders“ und hatte dann den Aha-Moment: „Wow, damit kann ich erklären, was schon immer mein Gefühl war!“

Konkrete Maßnahmen

Als Dominik die Unternehmensleitung übernahm, veränderte er vieles. Unter anderem schaffte er Mitarbeitergespräche und Leistungsbeurteilungen ab. Obwohl das Unternehmen durch die Aufsichtsbehörde stark reguliert ist und jährliche Mitarbeitergespräche vorgeschrieben sind, hat Dominik es durchgesetzt, die bisherige Form abzuschaffen. Stattdessen werden Mitarbeitergespräche nun situativ geführt.

Die Unternehmensleitung kommunizierte klar, dass im Generationenhaus auf informelle Gespräche umgestiegen wird. Mitarbeiter können jederzeit ein Gespräch bei ihren Führungskräften „anfordern“, aber es ist keine Verpflichtung mehr.

Die Reaktionen waren überwiegend positiv, es herrschte allgemeine Erleichterung sowohl bei denjenigen, die Gespräche führten als auch bei denen, die sie ertragen mussten. Die Abschaffung dieses Rituals und der verknüpften Lohnanpassung wurden begrüßt, da die Ziele ohnehin ständig wechselten und somit unerreichbar waren.

Jetzt erhalten alle Mitarbeiter eine Erfolgsbeteiligung in gleicher Höhe, im Schnitt 30 Prozent des Gewinns. Bei positiven Ergebnissen verdienen im Durchschnitt alle mehr. Zudem wurde Lohntransparenz eingeführt, sodass jeder weiß, wer was verdient.

Unerwartete Nebenwirkungen

Dominik unterschätzte das fortbestehende Machtgefälle in der Organisation. Einige Mitarbeiter trauten sich nach der Umstellung nicht, Gespräche anzufordern. In der Übergangsphase bzw. nach der Umstellung kam der Austausch daher zunächst zu kurz. Inzwischen bieten Führungskräfte daher regelmäßige formelle Gesprächstermine an, die angenommen oder abgelehnt werden können.

Folgen der Veränderung

  1. Insgesamt führte die Umstellung zu einer entspannteren und erleichterten Atmosphäre in der Organisation.
  2. Der Fokus liegt nun auf der Wertschöpfung statt auf Leistungsbeurteilungen und Lohnerhöhungen. Es wird weniger Zeit verschwendet für Vorbereitung und Durchführung der Gespräche sowie die anschließende Schadensbegrenzung, beispielsweise durch Enttäuschungen über nicht erhaltene Lohnerhöhungen.
  3. Die angepasste Lohnsystematik ist für alle attraktiv.

AXA Schweiz – Versicherungsbranche

Die AXA Schweiz bietet Personen-, Sach-, Haftpflicht- und Lebensversicherung sowie Gesundheits- und beruflichen Vorsorgemöglichkeiten an und ist Teil der AXA Gruppe.

Ausgangssituation

Benjamin Klassen ist Lead Agile Master bei der AXA Schweiz und fühlte sich von unserem Aufruf angesprochen, weil sein Arbeitgeber eine Umstellung der Gehaltsstruktur vorgenommen hatte. Früher wurde die variable Vergütung einmal im Frühjahr diskretionär nach Abgleich mit den Vorjahreszielen festgelegt. Bewertungen erfolgten auf einer Skala von 1 bis 5. (»1 = größtenteils nicht erfüllt« bis »5 = weit übertroffen«). Es wurden Zielvereinbarungsgespräche zwischen Mitarbeitern und Führungskräften geführt und die Höhe der individuellen, variablen Vergütung wurde durch die Führungskraft definiert.

Durchbruch im Denken

Da dieses eher hierarchische und aus der Zeit gekommene Vergütungssystem nicht mehr zur AXA-Kultur passte, hat sich die Geschäftsleitung in Zusammenarbeit mit der Fachstelle Compensation entschieden, das bisherige System abzulösen und mit einem Vergütungssystem zu ersetzen, welches kollektive Anreize schafft (OneAXA).

Konkrete Maßnahmen

Die Einführung des sogenannten »OneAXA-Bonus« erfolgte nicht auf einen Schlag, sondern es gab Übergangsregelungen und größere Veränderungen wurden über einen längeren Zeitraum eingeführt. Sie betrafen rund 4.500 Mitarbeitende der AXA Schweiz. Erfreulicherweise wurden die Veränderungen von vielen gut aufgenommen. Lediglich weniger als 1 % lehnten den neuen Vertrag ab und verließen das Unternehmen. Bei der AXA Schweiz gibt es insgesamt 13 Job-Level, wobei für jedes Job-Level ein einheitlicher Pay-Mix aus fixer und variabler Vergütung festgelegt ist.

Unerwartete Nebenwirkungen

Interessant war die Reaktion einiger Führungskräfte: Sie standen der Tatsache, dass sie die Bonusvergabe nicht mehr über die Zielvereinbarungen steuern können, kritisch gegenüber. Diese Reaktion ist nicht ungewöhnlich und weist in manchen Fällen darauf hin, dass die Zielvereinbarungen eine weitere Funktion erfüllen, nämlich die Machtverhältnisse zu symbolisieren bzw. widerzuspiegeln.

Folgen der Veränderung

  1. Die Umstellung hat sich gelohnt. Der Vorteil für Führungskräfte ist, dass sie sich nicht mehr um individuelle Bonusvereinbarungen kümmern müssen: Der CEO verkündet die OneAXA-Zielerreichung und den daraus resultierenden Payout-Faktor der variablen Vergütung. Die Arbeit für Führungskräfte wird reduziert, die Mitarbeiterentwicklung ist transparenter. Für jemanden mit sieben Mitarbeitern schätzt unser Gesprächspartner Benjamin eine jährliche Zeitersparnis von 20 bis 30 Stunden. Bei 50 Mitarbeitern können es sogar 80 Stunden sein, die für das Management der individuellen, variablen Vergütung eingespart werden.
  2. Es gibt Job-Level und einen zugehörigen Job-Katalog, in dem alle Funktionen der AXA Schweiz abgebildet sind. Dies schafft Transparenz, zeigt allen Mitarbeitenden das moderne Vergütungssystem und bringt zudem eine enorme Arbeitserleichterung.

Weitere Informationen findest Du hier.

Auxil Management GmbH – Unternehmensberatung

Ausgangssituation

Axel ist einer von sechs Geschäftsführern der Firma Auxil Management GmbH und berichtete uns von ihren Erfahrungen mit individuellen Zielvereinbarungen. Die Ausgangslage war, dass ein variabler Gehaltsanteil von den fakturierten „Beratertagen“ beim Kunden abhängig war.
Bei Auxil gibt es zwei Projektarten: Umsetzungs- und Analyseprojekte. Die Analyseprojekte wurden pauschal verkauft, sodass die daran arbeitenden Mitarbeiter keine Personentage anrechnen konnten, die in die Bonuszahlung hätten einfließen können. Dabei sind gerade die Analyseprojekte tendenziell aufwendiger als die Umsetzungsprojekte. Das Anreizsystem wurde deshalb als unfair empfunden.

Auch bei der Arbeit in Umsetzungsprojekten gab es jedoch Unzufriedenheit mit der Vereinbarung. Berufsanfänger hatten wenig Einfluss auf ihre individuelle Zielvereinbarung, da sie von ihren Projektleitern abhängig waren. Zudem war unklar, wie Freitage berechnet werden sollten, da man freitags selten beim Kunden vor Ort war, teilweise aber fakturiert wurde. Zudem war die monatliche Berechnung der Personentage und des entsprechenden individuellen Gehaltsbestandteils sehr zeitaufwändig. Zu Unzufriedenheit führe auch, dass dadurch während des Urlaubs gar kein individueller Anteil gezahlt wurde und das Gehalt dadurch immer geringer ausfiel.

Bisherige Verbesserungsversuche

Vor 4 Jahren gab es erstmals die Idee, Mitarbeitern Unternehmensbeteiligungen anzubieten. Es setzte sich allerdings nicht durch, da die dominierende Einstellung war: “Entweder man ist Unternehmer oder nicht.”
Durchbruch im Denken

Es gab immer wieder Diskussionen zum Gehaltsmodell, besonders als das Unternehmen wuchs und mehr Mitarbeiter hinzukamen. Axel startete einen neuen Anlauf und fand mit dem Argument „Das alte System unterstützt nicht das, was wir sagen – wir suchen Unternehmer im Unternehmen“ schließlich Gehör bei den anderen Gesellschaftern.

Konkrete Maßnahmen

Das alte System wurde abgeschafft und stattdessen werden nun ein fixer Anteil des Unternehmensergebnisses anteilig an Mitarbeiter verteilt – je nach Karrierestufe und Erfahrung, unabhängig von Personentagen. Für die Gesellschafter mag dies bei hohem Unternehmensergebnis rein finanziell eher nachteilig sein, da die Mitarbeiter einen höheren Bonus erhalten. Es dient jedoch der Sache, gemeinsam erfolgreich zu sein.

Das System wurde im Team-Meeting vorgestellt – erst grundsätzlich und dann im Detail. Im Jahr 2023 wurde umgestellt. Im ersten Jahr erhielten alle Mitarbeiter mindestens das variable Gehalt des Vorjahres, was die Umstellung etwas vereinfachte. Nach dem sehr erfolgreichen ersten Jahr wächst das Zutrauen in das neue System. Für das zweite Jahr sind nur noch zwei Drittel des variablen Vorjahresgehalts garantiert; der Rest hängt vom Unternehmenserfolg ab.

Unerwartete Nebenwirkungen

Einige Mitarbeiter befürchteten, nur noch zwei Drittel statt 100 % des variablen Gehalts zu erhalten, doch die meisten standen der Umstellung positiv gegenüber. Für Mitarbeiter, die sich mit dem neuen System nicht hätten anfreunden können, wären individuelle Lösungen gefunden worden. Letztendlich haben jedoch alle die neuen Verträge unterschrieben.

Folgen der Veränderung

  1. Heute liegt der Fokus auf dem Unternehmenserfolg und nicht auf geleisteten Personentagen.
  2. Die Kooperation in und zwischen den Projekten sowie den Mitarbeitern hat sich verbessert.
  3. Der Aufwand für Gehaltsthemen und deren Koordination ist nahezu verschwunden.
  4. Die subjektive Unzufriedenheit wurde minimiert.

Singhammmer IT Consulting AG – Softwareunternehmen und IT-Berater

Ausgangssituation

Eva Wieland ist bei der Singhammer IT Consulting AG zuständig für das Thema Human Relations und berichtete uns von ihren Erfahrungen mit Zielvereinbarungen. Früher gab es bei Singhammer individuelle Zielvereinbarungen im Consulting und Vertrieb, basierend auf der fakturierten Zeit für das Kundengeschäft. Je mehr Zeit fakturiert wurde, desto höher fiel die Vergütung aus.

Bisherige Veränderungen

Inspiriert durch das intrinsify „work-X“ Festivals  in 2018, löste das Unternehmen 2020 in der Hierarchie die Teamleiterebene auf und führte in selbstorganisierten Teams rollenbasiertes Arbeiten ein. Führung und Verantwortlichkeit wird nun in den unterschiedlichen Rollen gelebt. Die neuen Strukturen waren ungewohnt und fühlten sich bei einigen deswegen anfangs mühsam und anstrengend an, konnten sich aber mit Zeit und „Erleben“ etablieren und führten so zum erhofften Erfolg.

Durchbruch im Denken

Mit der Umstellung auf selbstorganisierte Teams wurde offensichtlich, dass individuelle Gehaltsvereinbarungen nicht mehr praktikabel und nicht passend zur Wertschöpfung waren. So lassen sich wichtige Aufgaben wie Onboarding und Personalmanagement beispielsweise nicht fakturieren. Die individuellen Zielvereinbarungen setzten jedoch einen Anreiz, nur fakturierbaren Tätigkeiten nachzugehen und schadeten damit dem Gesamtunternehmenserfolg.

Konkrete Maßnahmen

Anfang 2020 erhielten alle Mitarbeiter innerhalb von drei Monaten neue Verträge mit einheitlichem Gehaltsmodell. Dieses beinhaltet einen fixen und variablen Anteil, wobei der variable Anteil vom EBIT des Unternehmens abhängt. Alle leisten somit einen Beitrag zum Erfolg des Unternehmens. Als Grundlage wird der durchschnittliche EBIT der letzten zwölf Monate angesetzt. Das Fixgehalt stellt eine auskömmliche Grundlage dar und der zusätzliche variable Anteil steigt, je höher das Gesamtgehalt ist.

Unerwartete Nebenwirkungen

Dennoch blieb das Thema Gehalt nicht einfach. Wer führt die Gehaltsgespräche bei selbstorganisierten Teams? Da das Unternehmen 75 Mitarbeiter hat, kann der CEO nicht alle Gehaltsverhandlungen führen und vor allem die Leistungen der Kollegen nicht einschätzen. Daher ging man einen Schritt weiter in Richtung selbstorganisierte Teams – auch beim Thema Gehaltsverhandlungen.

Heute haben der CEO, Eva als HR-Verantwortliche und drei von Mitarbeitern gewählte Kollegen Einblick in Gehälter und führen in einem Zweierteam immer die Gehaltsgespräche. Durch diese Aufteilung muss nicht immer der CEO bei Gehaltsanpassungen eingebunden werden. Stattdessen findet eine Fremd- und Selbsteinschätzung bzgl. der Gehaltseinordnung statt und dann wird gemeinsam entschieden.

Bei Neueinstellungen sind weiterhin der CEO und die HR-Verantwortliche zuständig. Nur wenn die Gehaltsforderung stark von dem internen Benchmark abweicht, wird die Gruppe aus drei Mitarbeiter hinzugezogen.

Folgen der Veränderung

  1. Das Fairness-Gefühl hat sich verbessert. Gehalt ist zwar nach wie vor ein heikles Thema, heute ist jedoch allen bekannt, dass für jeden Mitarbeiter das gleiche Modell verwendet wird.
  2. Das neue Modell hat für mehr Transparenz und Klarheit gesorgt und stößt auch im Recruiting auf großen Anklang.
  3. Das Vertrauen in das Modell ist aufgrund der gewählten drei Kollegen gestiegen.

Seibert Media GmbH – Softwareunternehmen

Ausgangssituation

Jo Seibert ist Mitgründer der Seibert Media GmbH, welche er zusammen mit seinem Bruder Martin gründete. Bereits im Jahr 2007 begann Seibert Media Scrum-Teams aufzubauen, Sprints und Dailys einzuführen sowie Selbstorganisation zu fördern.

Die Zielvereinbarungen wurden von den Gründern eingeführt. Sie studierten Informatik- und BWL und “irgendwie machte man das damals so”. Jeder Mitarbeiter sollte in Absprache mit einem Kollegen seine Ziele für das nächste Quartal festlegen. Obwohl teilweise gute Ideen entstanden – zum Beispiel das Drehen von Videos zu Marketingzwecken – stellten sie fest, dass Zielvereinbarungen die Wertschöpfung behinderten und die selbstorganisierten Teams an ihre (Organisations-) Grenzen stießen. Es kam aufgrund der Zielvereinbarungen immer wieder zu Zielkonflikten. So fehlte manchmal ein Entwickler während eines Sprints, weil seine Zielvereinbarung ihn dazu „zwang“ noch ein Konzept zu erstellen.

Durchbruch im Denken

Einen tiefen Eindruck bzw. Erkenntnis hat ein Teeküchengespräch mit einem ehemaligen Senior Softwareentwickler gebracht. Kurz vor einem Zielbesprechungstermin sagte er zu Jo: „Jetzt machen wir wieder Schaulaufen statt zu arbeiten.“ Daraus resultierte die Erkenntnis: Das kann so nicht bleiben.

Konkrete Maßnahmen

Seibert Media entschlackte die Arbeitsverträge und räumte auf. Unter anderem wurden alle überflüssigen Regelungen entfernt, die ohnehin im BGB geregelt sind.

Statt wie bisher 80-120 % Prämienzahlungen stellten sie alle Verträge auf 100 Prozent um. Es gibt jetzt ein Fixgehalt und der variable Anteil ist eine Gewinnbeteiligung von 20 Prozent. Einmal im Jahr werden Gewinne an die Mitarbeiter ausgeschüttet.

Unerwartete Nebenwirkungen

Durch die Abschaffung der Zielvereinbarungen stellten sich unerwartete Nebenwirkungen ein: Die Mitarbeiter fokussierten sich nun so stark auf die Wertschöpfung, dass die strategische Weiterentwicklung des Unternehmens quasi „vergessen“ wurde.
Rückblickend hätten sie gern mehr Zeit investiert, um einige Geschäftsprozesse früher zu standardisieren und zu automatisieren. Inzwischen ist das Unternehmen auf 420 Mitarbeiter gewachsen und merkt, wie wichtig skalierbare Prozesse sind. Mit den alten, individuellen Zielvereinbarungen hätten sie strategische Nebenthemen wie Prozessdokumentation oder Marketing-Content möglicherweise nicht vernachlässigt.

Folgen der Veränderung

  1. Insgesamt ist das Fazit zur Abschaffung allerdings positiv:
  2. Das Team zieht geschlossen an einem Strang, ohne Ablenkungen oder Nebenbeschäftigungen.
  3. Der Fokus liegt auf dem gemeinsamen Erfolg.
  4. Mittlerweile hat Seibert Media Strukturen etabliert, um auch den strategischen Themen ausreichend Raum zu verschaffen.

Die Abschaffung der individuellen Zielvereinbarungen liegt bei Seibert Media bereits viele Jahre zurück. Seitdem hat sich das gesamte Führungssystem erheblich weiterentwickelt und setzt in vielerlei Hinsicht neue Maßstäbe.

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