Wenn Mitarbeiterbefragungen durchgeführt werden, dann gibt es ein paar Punkte, die fast immer in der Ergebnispräsentation weit oben stehen. Einer dieser Klassiker lautet: „Ich bin unzufrieden mit den Möglichkeiten, mich weiterzuentwickeln“.
Das kann natürlich keine engagierte Personalabteilung auf sich sitzen lassen. Schnell werden zentral gesteuerte Maßnahmen auf den Weg gebracht und zum Beispiel eine E-Learning-Plattform eingeführt, mit vielen vermeintlich interessanten Videokursen. Die Ernüchterung kommt Monate später: Die Lernplattform wird kaum genutzt und die Zufriedenheitswerte der Mitarbeiter sind immer noch im Keller.
Klar, dass das nicht so richtig geklappt hat. Lernangebote und Weiterentwicklung sind eben nicht dasselbe. Es muss wohl individueller auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden eingegangen werden. Daher wird im Personalmanagement gerne proklamiert: „Die Führungskraft ist der wichtigste Personalentwickler.“ Ohne zu berücksichtigen, dass Führungskräfte oft aufgrund ihrer fachlichen Fähigkeiten befördert wurden – und nicht wegen ihres ausgeprägten Talents für ergebnisreiche Entwicklungsgespräche.
Nicht zuletzt deshalb gibt es in vielen Unternehmen strenge Prozesse und Vorlagen für die regelmäßigen Entwicklungsgespräche. Inklusive Dokumentation, um als HR sicherzustellen, dass sie tatsächlich geführt wurden. Dieses gesteuerte Vorgehen produziert Unmengen „individueller Entwicklungspläne“, die nur selten wirklich nützen. Zu oft wird ein Prozess befriedigt, statt menschliche Entwicklung zu fördern.
Ich glaube, dass die Forderung unrealistisch ist, aus allen Führungskräften Personalentwickler zu machen. Zumindest, wenn man unter Personalentwicklern echte Experten auf ihrem Feld versteht. Es ist realistischer, als Führungskraft die Rolle des Unterstützers und Ermöglichers einzunehmen.
Daher möchte ich heute keine Systematik rund um das vielschichtige Thema Mitarbeiterentwicklung anbieten, sondern mit Dir ein paar einfache Ansätze aus meiner praktischen Führungsarbeit teilen. Ganz ohne Führungsleitbild, Kompetenzmodell und Persönlichkeitsprofil.
1. Rollenklarheit schaffen
Ich entwickle keine Mitarbeiter. Wie könnte ich auch? Menschen können sich nur selbst entwickeln. Als Führungskraft bin ich interessiert und unterstütze gerne die Entwicklungsversuche meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Rollen sind klar: Die Verantwortung für den persönlichen, fachlichen und karriereseitigen Fortschritt hat allein der Mitarbeitende. Er oder sie muss Treiber bleiben und sinnvolle Maßnahmen suchen. Als Führungskraft schaffe ich passende Möglichkeiten und biete Feedback an.
2. Üben lassen
Ob jemand Talent für eine Tätigkeit hat, zeigt sich erst in der wiederholten Konfrontation mit den zu lösenden Problemen. Egal ob es sich um Moderation, Planung, Präsentation, Beratung oder Verkauf handelt, erst in der Praxis wird der Diamant geschliffen – oder der Kieselstein. Man könnte auch sagen: Übung macht den Meister, falls er talentiert ist. Die Leistung der Führungskraft besteht darin, auszuhalten, dass Aufgaben nicht so gut oder anders erledigt werden als man selbst erwartet. Das weniger Gute zu ertragen, um bald etwas Besseres erreichen zu können, bedarf Geduld und Gelassenheit.
Um Übungsgelegenheiten zu erkennen, hilft die ständige Frage: Muss diese Aufgabe unbedingt einer der „Top-Performer“ übernehmen oder ist das eine Chance für den „Nachwuchs“, auch wenn es vielleicht etwas schmerzt?
3. Verantwortung übergeben
Schnell ist die Forderung ausgesprochen, dass Mitarbeiter mehr Verantwortung übernehmen sollten. Häufig bestehen allerdings Rahmenbedingungen in Organisationen, die Verantwortungsübernahme behindert. Als Führungskraft kann es trotzdem Möglichkeiten geben, echte Verantwortung zu übergeben.
Ein Beispiel: Eine Mitarbeiterin kam zu mir mit einem Vertrag, der die Zusammenarbeit mit einem externen Dienstleister regelte. Sie hatte die Aufgabe, den Vertrag auszuhandeln und zu prüfen. Ich nahm den Vertrag und war im Begriff, ihn ungelesen zu unterschreiben. Die Mitarbeiterin fragte mich entsetzt, ob ich den Vertrag denn nicht noch einmal prüfen wollte. Ich erklärte ihr, dass sie das ja getan hätte und ich ihn daher einfach unterschreiben würde. Daraufhin wollte sie den Vertrag ohne Unterschrift zurückerhalten, um ihn ein letztes Mal durchzugehen. Jetzt wusste sie, dass sie tatsächlich die Verantwortung für den Vertrag hatte.
4. Geschwindigkeit freigeben
Menschen sind unterschiedlich schnell bereit, mit Unsicherheit umzugehen und Verantwortung zu übernehmen. Die Geschwindigkeit der Verantwortungsübernahme sollte daher von den Mitarbeitern mitbestimmt werden.
Auch hier ein Beispiel: Ich übernahm ein Team und erhöhte die finanziellen Freigabegrenzen für alle deutlich. Plötzlich konnte formal jeder Entscheidungen über viel größere Geldsummen fällen als gewohnt. Gleichzeitig führte ich folgendes Prinzip ein: Jeder entscheidet, was er oder sie sich zutraut. Mit allen anderen Fällen kam man zu mir als Führungskraft, um sich Rat zu holen oder die Entscheidung zu übergeben. Über die Zeit haben alle in unterschiedlichen Geschwindigkeiten ihre Entscheidungsräume maximal ausgebaut.
5. Loslassen fördern
Entwicklungsziele dürfen unbedingt auch außerhalb des eigenen Teams oder Unternehmensbereichs liegen. Es hilft sehr, wenn Mitarbeiter das Gefühl haben, dass man darüber mit der eigenen Führungskraft sprechen kann. Wenn ich die Vermutung habe, dass das der Fall ist, spreche ich das selbst an.
Zu häufig verlassen leistungsstarke Mitarbeiter Unternehmen, weil sie keine Möglichkeit sehen, ohne Gesichtsverlust in einen ganz anderen Bereich zu wechseln. Auch wenn ich als Führungskraft die Leistungsfähigkeit des eigenen Bereichs im Fokus habe, sollte ich immer schauen, wie man den Wechsel innerhalb des Unternehmens fördern kann. Mit diesem Vorgehen habe ich bisher nur gute Erfahrungen gesammelt.
Fazit
Man könnte behaupten, die beschriebenen Anregungen sind totale Basics und kaum einen Text wert. Beobachte ich die Praxis, komme ich zu einem anderen Schluss. Das sind die wichtigsten Aufgaben einer Führungskraft, wenn es um Mitarbeiterentwicklung geht. Diese einfachen Aufgaben kann man jenseits aller Führungsleitbilder und Kompetenzmodelle einfordern, da sie in praktisch allen Unternehmensbereichen anwendbar sind. Und sollte das aufgrund der Rahmenbedingungen einmal nicht möglich sein, kann sich HR der Herausforderung stellen, daran etwas zu ändern.