Lieber Leser,
ich bin bei einem Freund zum Kaminabend eingeladen und dort liegt – als Coffee-Table-Book – die ›Familienchronik derer von Opel‹. Ein Urenkel des berühmten Firmengründers Adam Opel und dessen Frau Sophie hat darin Geschichte und Anekdötchen über die Blütezeit der Firma Opel gesammelt, die sich in der Familie bei allerlei Gelegenheiten erzählt werden.
Bei Rotwein und Käsecrackern schmökere ich gemeinsam mit meinem Freund ein wenig darin und wir stoßen auf diese Geschichte eines anderen Urenkels mit Namen Carl-Heinz Schneider von Opel. Sie dürfte sich ungefähr 1945 abgespielt haben:
Im Schlafzimmer von Carl-Heinz klagte seine zukünftige Frau beim Zubettgehen: „Die Birne unserer Nachttischlampe ist kaputt. Was machen wir nun?“
Sie schlug daraufhin vor: „Carl-Heinz, geh Du rüber zur Gastwirtschaft im Nebenhaus, hinten im Holzkeller hängt eine Glühbirne. Hol’ sie Dir!“
Schweren Herzens entschloss sich Carl-Heinz, den kleinen Diebstahl zu begehen und schraubte die Birne aus der Fassung. Er erschrak, als er sah, dass die Glühbirne beschriftet war. Darauf stand: »Gestohlen bei Opel«.
Beschriftet hatte die Glühbirne – es muss fast 40 Jahre zuvor gewesen sein – Sophie Opel. Sie war es, die sich kurz nach dem Tod ihres Ehemanns Adam im Jahre 1895 von Ihren Söhnen überreden ließ, neben der Produktion von Nähmaschinen und Fahrrädern auch in das Kraftwagengeschäft einzusteigen. Und sie begründete damit den Aufstieg der Adam Opel KG zum größten und angesehensten deutschen Automobilproduzenten, der sie blieb, bis Opel 1929 von General Motors übernommen wurde und nach und nach zu einer Marketinghülle degeneriert wurde.
Ihr könntet diese kleine Geschichte nun als romantisch verklärte Überlieferung einer im Kern misstrauischen und geizigen Unternehmerwitwe abtun, aber damit verkennt ihr den Punkt.
Damit ich euch diese kleine Anekdote hier überhaupt erzählen kann, musste sie aufgeschrieben werden. Sie musste also wichtig genug sein, sodass man sie sich bei Familientreffen überliefern und in die erwähnte Familienchronik aufnehmen wollte. Die Geschichte hat also eine hohe kulturelle Wirkung. Sie ist Ausdruck von Stolz. Stolz auf die Haltung einer großen Unternehmerpersönlichkeit und Stolz auf die Haltung einer ganzen Firma. Und das alles, ohne die Haltung selbst zu thematisieren.
Die Lektüre der Chronik hinterlässt bei mir den klaren Eindruck: Mutter Opel muss eine sehr strenge, prinzipiengeleitete Frau und herausragende Führungskraft gewesen sein und sie erntete dafür Ehrfurcht und höchste Loyalität. Man arbeitete ganz offensichtlich damals in Rüsselsheim und Umgebung nicht bei Opel, so wie man heute in Stuttgart beim Daimler oder beim Bosch schafft, sondern für die Unternehmerin selbst, also für Sophie Opel.
Fand sie eine Schraube im Staub zwischen den Werkshallen, so hob sie diese vom Boden auf, überreichte sie dem nächstbesten „Lehrbuben“ und beauftragte ihn, sich um die Schraube zu kümmern, also sie zu säubern und einzusortieren. Darin steckt der ganze Geist eines der erfolgreichsten Unternehmen seiner Zeit. Und es erklärt sehr gut, warum Sophie Opel sogar die firmeneigenen Glühbirnen beschriftete, sodass sich der Dieb jeden Tag an seine Tat erinnern musste.
Just Walk
Ich stresse diese Anekdote noch ein bisschen, um herauszuarbeiten, worauf es mir ankommt. Ich halte hier kein Plädoyer für Sorgfalt und Sparsamkeit, obgleich es sich lohnen könnte, irgendwann auch darüber mal zu schreiben. Auch will ich nicht Sophie Opel glorifizieren oder den guten alten Zeiten und ihren Patriarchen nachtrauern. Nichts läge mir ferner.
Entscheidend ist für mich ist, was »Madam Opel« (so ihr Spitzname) ganz offenbar nicht getan hat. Sie hat nicht an die Kultur oder die Haltung der Belegschaft und Führungskräfte appelliert. Sie hat auch nicht auf große Plakate Unternehmenswerte wie Sparsamkeit, Fleiß und Redlichkeit drucken lassen. Und aus den Medien der damaligen Zeit ist kein Interview mit ihr bekannt, in der sie selbst ihre enorme Tugendhaftigkeit öffentlichkeitswirksam zur Schau gestellt hätte.
Sophie war vielmehr auf der Arbeitsebene der Wertschöpfung tätig. Sie hat ihr Augenmerk auf die Tätigkeiten im Kleinen und deren Passung zueinander gelegt, ganz besonders in der Produktion. Opel war der erste deutsche Automobilproduzent, der 1924 die Fließfertigung einführte und mit der als »Laubfrosch« bekannten Modellreihe »4 PS« ein konkurrenzlos günstiges Fahrzeug produzierte. Der Laubfrosch wurde schon zwölf Jahre vor dem ersten VW Käfer das ›Automobil des kleinen Mannes‹.
Was ich damit sagen will: Haltung ist die Folge des Tuns, nicht dessen Ziel.
Und auch mit der oft gepriesenen Konsistenz von ›Wort zu Tat‹, die durch den beliebten Postkarten-Appell »Walk the Talk« zum Ausdruck kommt, ist der Geschichte kaum beizukommen. Sophie Opel hat sich nicht als Vorbild für die propagierten Werte inszeniert. Sie war gar nicht darauf angewiesen, ihre Taten an ihren Worten messen zu lassen, denn sie hat die Agitation schlicht bleiben lassen.
Vielleicht sollte ich selber mal einen Appell auf eine Postkarte drucken lassen, auf dem schlicht steht: »Just Walk!«
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Erfolg ist was folgt
Dem Amazon-Gründer Jeff Bezos wird ein Credo nachgesagt, dass er wohl immer dann aufsagt, wenn ihm die Frage gestellt wird, wie man im Business erfolgreich wird. Es lautet sinngemäß: „Fokussiere dich auf den Kunden, dann wird der Erfolg schon kommen. Wenn du aber ständig nur auf den Erfolg guckst, wird es nicht klappen.“
Dieses Zitat ist wie ein Refrain des Lebens, den ihr auf beliebige andere Spielfelder übertragen könnt. So zum Beispiel auf Fußball: „Fokussiert euch auf eine stabile Verteidigung mit schnellen Kontern, dann wird der Sieg schon kommen. Wenn ihr aber ständig nur auf den Sieg guckt, wird es nicht klappen.“
Oder noch anders: „Konzentriere dich auf deine persönliche Leidenschaft. Treib Sport und ernähre dich gesund. Dann wird das Lebensglück schon kommen. Wenn du aber ständig nur auf Glück schaust, wird es nicht klappen.“
Erfolg ist, was folgt. Diese Erkenntnis ist gleichermaßen banal wie essentiell.
In anderen Worten: jedes emergente Phänomen in Wirtschaft und Gesellschaft, also jeder Erfolg ist ein komplexes Ganzes. Und dieses Ganze wurde aus vielen Einzeltätigkeiten zusammengesetzt, die ganz offenbar hervorragend zueinander passen. Wenn ihr den Erfolg wollt – und dabei ist es ganz egal, was ihr persönlich als erstrebenswert erachtet – dann könnt ihr nur an genau diesen Einzeltätigkeiten unmittelbar arbeiten. Alles, was ihr tun könnt, liegt auf einer anderen Ebene als der abstrakte Erfolg, es liegt sprichwörtlich auf der konkreten Arbeitsebene.
Und daraus kann der Erfolg entstehen. Fast schon automatisch. Diese Vokabel passt, wenn ihr sie bitte nicht zu technisch versteht. Eher wie ein nebenbei oder im Schlepptau, also quasi huckepack. Absichtslos aber wünschenswert. Und im Rücken der Akteure, die das Treiben gleichsam demütig wie erfreut beobachten.
Um mit Immanuel Kant zu sprechen: Ihr schafft die „Bedingungen für die Möglichkeit“ von Leistung und im Resultat für Erfolg. Das exakt ist die Funktion von Führung und das ist der Auftrag von Führungskräften.
Der Vergleich von Opel damals mit Bosch und Daimler heute hinkt. Auch von den beiden Herren gibt es ähnliche Anekdoten wie die mit der Schraube. Die Message des Artikels ist natürlich trotzdem klasse – danke!