Leistungsabhängige Vergütung ist noch immer das vorherrschende Prinzip der Anreizung und Motivierung. Es erhält nach wie vor Einzug in Unternehmen. Dabei wissen wir seit Jahrzehnten um die zerstörerische Wirkung dieser Systeme im Umfeld von Dynamik. Ich habe aus gegebenem Anlass kürzlich für einen Kunden versucht eine wissenschaftlich fundierte, knackige Zusammenfassung der Gegenargumente zu Papier zu bringen. Voilà…
- Sie ist eine Art der Steuerung*. Steuerung in komplexem* Umfeld ist bestenfalls wirkungslos. Hier verstärkt die Steuerung in Form der leistungsabhängigen Vergütung das Problem, für dessen Lösung man sie eingerichtet hat. Langfristig führt dies zu einer „Verblödung“ der Organisation. Verblödung meint hier eine Abnahme der Fähigkeit der Organisation auf Außenreize reagieren zu können.
- Sie fördert Individualisten-Tum. Begründung: Sie misst Einzelleistung. Einzelleistung existiert im komplexen Umfeld nicht. Belohnt man Einzelne, fördert dies Heldentum. Heldentum schädigt Teamdenken und führt zu Neid und Misstrauen. Im Fußball kennt man dies, wenn einzelne Spieler in jeder Situation versuchen sich selbst ins Rampenlicht zu rücken und den Teamerfolg vergessen. Belohnung des Helden bestärkt ihn in seinem Heldentum und ruft eine Erwartungshaltung für zukünftige Heldentaten hervor. „Verlierer“ hingegen geben sich schnell auf und kündigen innerlich. Oder sie gehen in den Konkurrenzkampf. Dies verursacht Blindleistung.
- Sie lässt individuelles Können unberücksichtigt. Sie ist standardisiert und kann daher nur mit bereits vorhandenem Wissen designt werden. Damit senkt sie die Wahrscheinlichkeit für Innovation durch den Einzelnen. Sie ignoriert die Existenz von Überraschungen. Doch gerade unerwartete Überraschungen bringen meist unternehmerischen Erfolg. Wäre dies nicht so, könnte man Erfolg deterministisch „erarbeiten“. Dann könnte dies mittelbar, aber jede Organisation und jede Organisation wäre mittelmäßig. Leistung jenseits von Mittelmaß ist also nur möglich, wenn Überraschungen systemisch zugelassen werden.Des Weiteren gewichtet ein leistungsabhängiges Vergütungssystem Aktivitäten und Ziele zueinander. Dies unterstellt, dass diese Gewichtung in jeder Situation Gültigkeit hat. In der Realität ist aber mal die eine, mal die andere Verhaltensweise opportun.
FUTURE LEADERSHIP
Löse Führungsprobleme, die andere noch nicht mal verstehen.
- Sie raubt kognitive Ressourcen, da sie allgegenwärtig ist. Der Mitarbeiter muss seine Aufmerksamkeit teilen. Ein Teil gilt dem Vergütungssystem, die andere dem Unternehmenserfolg.Im Ideal besteht vollständige Kongruenz dieser Perspektiven. Da die Umwelt aber komplex ist, kann das Vergütungssystem nie die Realität antizipieren.Gedankenexperiment: Könnte sie dies auf wunderliche Weise trotzdem, wäre sie so kompliziert, dass ein Mitarbeiter sie nicht mehr verstehen könnte. Die Motivationswirkung würde versagen, weil kein Ursache-Wirkungszusammenhang mehr zu erkennen wäre. Ansätze dieser Verwirrung sind oft zu beobachten, wenn Vergütungssysteme für immer neu auftretende Sonderfälle vermeintlich „optimiert“ werden.
- Sie raubt organisatorische Ressourcen durch den administrativen Aufwand in Gesprächen, Verwaltung und Anpassungsroutinen.
- Sie fördert Misstrauen gegenüber den Architekten, da sie unterstellt, dass Mitarbeiter unternehmensfremde Interesse verfolgen.
- Es gibt diverse Studien, die nachweisen, dass ihr Effekt bestenfalls unwirksam ist. Zu nennen sind hier u.a. Sprenger, R.; Herzberg, F.; Pink, D.
Quellen: Herzberg, F.; Sprenger, R.; Pfläging, N.; Pink, D.; Wohland, G.; Taleb, N.
*Steuerung… heißt, dass eine Zentrale ex ante Vorgaben und Pläne macht, nach denen die Akteure handeln sollen. Dies erfordert einen Wissensvorsprung im Unternehmenszentrum. Überall wo Überraschungen passieren können, ist Steuerung unwirksam bzw. schädlich da die Peripherie mehr situationsrelevantes Wissen hat als die Zentrale. Dieses nennt man peripheres Gegenwissen.
*Komplexität … ist ein Maß für Überraschungen. In nicht-komplexen Umfeldern reicht Wissen zur Problemlösung. Dann wird die Wertschöpfung durch die Befolgung der Steuerung (z.B. Prozessanweisungen) sichergestellt. Ist dies nicht der Fall, ist das Problem komplex. Hier braucht es Können.
Eine feine, kompakte Zusammenfassung. Danke Mark Poppenborg!
Exquisiter Beitrag – Vielen Dank! Die Alternative: Beta-Leadership erfordert Innovation, Mut und Zutrauen. Das kann man lernen.
Vereinfacht braucht eine Gruppe/Team, um flexibel und sich anpassen zu können, beides: Sowohl den Egoismus des Einzelnen als auch den Alturismus für die Gruppe, für das Team. Schafft man die Einzelleistung ab, so bleibt nur der Gruppendruck, netter gesagt die Gruppenharmonie übrig, die aber zerstört die Möglichkeit eben die egoistische Tendenz zugunsten interner Kriterien.
Irgendwie erinnert mich dieser einseitige Ansatz and das „leistungsubabhängige Grundeinkommen“, wo auch nur ein ganz bestimmter Menschentyp zugrunde gelegt wird.