Vor zwei Jahren hat ein Sturm meinen schönen neuen Gasgrill von der Terrasse gefegt. Das schmerzte mich arg, denn als leidenschaftlicher Foodie hatte ich zu diesem Gerät ein fast inniges Verhältnis entwickelt. Dafür musste ich zwar stets etwas Spott aus meinem Umfeld ertragen, aber den kann ich seit eben jenem Tag kontern, indem ich darauf verweise, was für ein wichtiger Gedanke sich an dem Grill entzündet hat.
Angefangen hatte es damit, dass ich das Gerät unvorsichtigerweise schon im März in seine Sommerposition gerollt habe. Die befindet sich direkt am Ende der Terrasse und hinter dieser geht es ohne Absturzsicherung rund 80 cm runter in einen kleinen Garten.
Mein Versäumnis wurde prompt im April meinem Spielzeug zum Verhängnis. Obwohl der Grill samt Gasflasche um die einhundert Kilogramm wiegt, fegte ihn eine fiese Böe von der Terrasse weg, die Stufe hinunter. Ein spitzer Aufschrei meiner Tochter, die das Ganze beobachtet hatte, alarmierte mich. Voller Fürsorge stürzte ich – dem peitschenden Regen zum Trotz – nach draußen, richtete das Gerät wieder auf und deckte es notdürftig ab, bevor ich ins Haus zurück flüchtete. Den Schaden wollte ich bei nächster Gelegenheit besehen und möglichst reparieren. Dazu zitierte ich meinen Sohn zur Unterstützung heran. Soll doch was lernen, der Herr Teenager.
Der Auftrag
Vorsichtig nahmen wir den Grill auf der Terrasse auseinander – und stellten fest, dass er kaum etwas abbekommen hatte. Ich atmete auf. Und beschloss, die Gelegenheit zu nutzen, das Gerät einer gründlichen Reinigung zu unterziehen. Ich erteilte meinem Sohn den Auftrag, mir dabei zu helfen. Er sollte den Unterbau gründlich säubern, während ich mir die Grillroste vornahm. Ich zeigte ihm noch, was zu tun war, und drückte ihm Eimer, Spüli, Schwamm und sogar eine alte Zahnbürste für die letzten Reste in die Hand.
Er hatte gerade mit seiner Arbeit begonnen, als mein Nachbar an den Zaun trat und ihm schelmisch zurief: »Oho, da hat Dein Vater Dir die Verantwortung für sein Lieblingsspielzeug übertragen!«
Und ich überlegte: ‚Habe ich das? Nein, habe ich nicht.‘
Sollte ich meinen Nachbar über das Missverständnis aufklären? Ach was, ich hab ja keinen Klugscheißer-Auftrag in der Nachbarschaft, also entschied ich mich dagegen. Vielleicht macht es für seinen Berufsalltag auch keinen Unterschied. Im Alltag von Unternehmern und Führungskräften allerdings macht es einen Unterschied. Einen ziemlich großen sogar.
Die Gleichsetzung
»Verantwortung« gehört im Management wie in der Politik zu den wahrscheinlich am meisten gebrauchten Begriffen der letzten Jahre – und das obwohl – oder vielleicht auch weil – er ein sehr vielschichtiger Begriff ist. Er ist in den unterschiedlichen Kontexten, Kulturkreisen und auch individuell mit unterschiedlichen Bedeutungen aufgeladen.
Sehr häufig wird „Verantwortung“ mit juristischer oder moralischer »Haftung« gleichgesetzt. Da behauptet ein Manager oder Politiker von sich, dass er für irgendeine Verfehlung »die Verantwortung übernimmt« und tritt dann zurück. Nun gut, das ist zwar in den letzten Jahren ziemlich selten passiert – ich persönlich meine: zu selten –, aber ihr wisst, was ich meine.
Was ich nun vorschlage, ist, diese – oft auch als ‚formale’ Verantwortung bezeichnete – Haftung von Verantwortung im engeren Sinne, so wie wir sie unter anderem in den Unternehmen dringend brauchen, zu unterscheiden.
Das eine meint das Eingestehen einer Schuld oder mindestens einer Mitschuld und das Ausbaden des Versäumnisses. Es kommt zeitlich erst nach der Verantwortung. Letztere ist etwas Aktives. Sie steht für das risikobehaftete Bemühen, ein Problem zu lösen. Für dieses Bemühen kann eine Person Verantwortung übernehmen. Von der rückwirkenden Schuldübernahme ist dies deutlich zu differenzieren.
Doch wann könnt ihr überhaupt Verantwortung für die Lösung eines Problems übernehmen? Dieser Gedanke beschäftigte mich, während ich meine Grillroste schrubbte und einölte. Und ich kam zu dem Schluss: Das ist nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich.
Die erste Voraussetzung ist, dass es überhaupt ein Problem gibt.
FUTURE LEADERSHIP
Löse Führungsprobleme, die andere noch nicht mal verstehen.
Die Unterschiede
In Unternehmen gibt es zwei Arten von Arbeitsaufträgen: die Bewältigung von Aufgaben und die Lösung von Problemen. Die beiden unterscheiden sich in zwei wesentlichen Punkten.
Das erste Unterscheidungsmerkmal liegt in der Referenz: Liegt diese intern oder extern? Wer beurteilt, ob der Auftrag erfüllt ist? Ist es der Chef, dann liegt die Referenz intern. Ist es aber der Markt oder ein Kunde: Dann ist es eine externe Referenz und erst diese definiert ein Problem.
Im Falle meines Grills war aber ich die Referenz vom Junior. Also eine interne Referenz: Mir musste das Ergebnis der Reinigungsaktion gefallen, niemandem sonst.
Das mag spitzfindig klingen, hat aber massive Konsequenzen. Denn ein Problem war hier nicht zu lösen. Wofür also Verantwortung übernehmen? Mein Sohn musste es letztlich so machen, wie ich es gerne wollte. Wofür hätte er schon Verantwortung übernehmen können?
Das zweite Unterscheidungsmerkmal ist das vorhandene Wissen. Lässt sich der Auftrag erledigen, indem der Beauftragte bekanntes Wissen anwendet, so ist für die Erledigung gar keine Verantwortung nötig, sondern nur so etwas wie Disziplin – oder provokanter formuliert: Gehorsam – in der Anwendung dieses Wissens.
Wie der Unterbau meines schönen Grills zu reinigen ist, weiß ich. Und dieses Wissen hatte ich meinem Sohn weitergegeben – oder es zumindest versucht.
Erst wenn beides zusammenkommt, also die externe Referenz UND unzureichendes Wissen, steht überhaupt Verantwortung im Raum, die übernommen werden kann.
Ausschlusskriterien für Verantwortung
Ich kann keinen Auftrag vergeben und Verantwortung dafür erwarten, wenn es gar keine Verantwortung zu vergeben gibt. Alles, was ich erwarten kann, ist ein regelhaftes Abarbeiten – also letztlich Disziplin und Gehorsam.
Deshalb empfand ich es beispielsweise so widersinnig, als die Politik während der Corona-Pandemie den Bürgern vorschrieb, im Supermarkt eine Maske zu tragen, und es dann als Akt der Verantwortung darzustellen. Ob es nun medizinisch richtig war, Maske im Supermarkt zu tragen, darf an anderer Stelle diskutiert werden, denn es tut hier gar nicht zur Sache. Mein Punkt ist: Die Einhaltung einer Vorschrift ist ein Akt des Gehorsams – eben gerade unter Abgabe der eigenen Verantwortung. Denn die Verantwortung ist an die Vorschrift delegiert.
Wenn ich aber keine Verantwortung erwarten kann, dann muss ich das auch so benennen und klarmachen, dass ich in diesem Fall Disziplin oder Gehorsam fordere. Das klingt natürlich nicht so partizipativ, human und modern – das stimmt. Aber die differenzierte Verwendung der Begriffe macht es für alle Beteiligten klarer, worum es gerade geht – und worum nicht. Und diese Klarheit schützt davor, dass der Begriff »Verantwortung« weiter ausgehöhlt und immer nichtssagender wird.
Drei Fragen gegen die Floskelfalle
»Verantwortung« ist auf dem Weg, zur Floskel und damit wertlos zu werden. Diese Entwicklung halte ich für gefährlich, denn wenn ihr alles als Verantwortung postuliert, müsst ihr euch nicht wundern, dass irgendwann die Leute gar keine Verantwortung mehr übernehmen. Schließlich müssen sie ja vermuten, dass eigentlich gar keine Verantwortung dahinter steckt, sondern nur Gehorsam. Das gilt für Mitarbeiter und das gilt für Bürger.
Zugegeben: In meinem Unternehmeralltag bei intrinsify rutscht mir schon auch immer wieder mal eine Vermischung durch. Deshalb habe ich mir angewöhnt, mir drei Fragen zu stellen, bevor ich von der Übergabe der »Verantwortung« für einen Auftrag spreche:
Erste Frage: Ist das überhaupt ein Problem, was hier zu lösen ist? Oder ist es eine Aufgabe? Sitzt die Referenz des Ergebnisses also außen oder innen? Und gibt es ausreichend Wissen und Regeln, wie das gewünschte Ergebnis zu erzielen ist? Antworte ich zweimal mit »Ja«, ist es eher eine Aufgabe – und es liegt in meiner Verantwortung, dafür zu sorgen, dass der andere das nötige Wissen zum »Wie« und zu meiner Erwartung an das Ergebnis erfährt.
Um euch ein Beispiel zu nennen: Würde mein Auftrag lauten »Sorge für eine erfolgreiche Markteinführung unseres neuen Produktes in Südamerika«, würde ich beide Eingangsfragen wohl klar mit »Nein« beantworten. Weder könnte ich demjenigen klare Regeln vorgeben, wie er die Markteinführung zum Erfolg bringen kann, noch wäre ich die Referenz. Deshalb würde ich zur nächsten Frage übergehen.
Die zweite Frage lautet: Bin ich gerade dabei, meinem Gegenüber trotz Nichtwissen doch Regeln für die Lösung des Problems vorzugeben? Vielleicht nur aus Versehen? Das sollte ich möglichst lassen, denn sonst landet die Verantwortung sofort wieder bei mir, der ich die Vorgaben mache.
Dritte Frage: Traue ich der Person zu, das Problem zu lösen? Bei dieser Frage geht es nicht um das »Vertrauen«, das ich zum Beispiel in die Loyalität der- oder desjenigen haben kann. Es geht um das »Zutrauen«, ob sie oder er das Zeug dazu hat. Denn habe ich dieses Zutrauen nicht, wäre es nicht nur sehr unfair, die Verantwortung zu übertragen, sondern vermutlich auch unwirtschaftlich.
Sortenreine Verantwortung
Auf diese Weise bekomme ich ganz gut auseinander sortiert, wo ich von Verantwortung sprechen will und wo nicht. In gewisser Weise will ich den Begriff retten. Denn dann kann er an den Stellen, an denen es wirklich auf Verantwortung ankommt, wieder voll zum Tragen kommen. Und von diesen Stellen haben wir in der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft aktuell mehr als genug!
Vielleicht habt ihr ja Lust, euch an dieser „Rettungsaktion“ zu beteiligen.
Der Kalender 2024
WIR FÜHREN ANDERS!
52 befreiende Impulse für Manager*
Jede Woche mit einem neuen Gedanken, einer neuen Idee, einer neuen Perspektive auf Führung und Organisationsentwicklung. Jede Woche eine Einladung zum Anders-Denken.
*und alle, die ihr Unternehmen nach vorne bringen wollen.
Hallo Lars, starker Artikel, danke! Die erste Unterscheidung zwischen Verantwortung und Aufgabe bzw. Problem/Aufgabe war mir bis eben nicht präsent – wieder was gelernt. Deine Unterscheidung Vertrauen/Zutrauen ist mir bei der Lektüre von Stephen Covey Jr. begegnet, der 2 Seiten von Vertrauen aufführt: die Charakter-Seite und die Aufgaben-Seite (mit Track-Record und Kompetenz als Unteraspekten). Zutrauen ist hier ein schönes Wort, um diese Differenz direkt begreifbar zu haben.
Wo ich noch hadere ist deine 2. Frage. Wahrscheinlich ist es die Unklarheit, was du unter „Regeln“ verstehst. Weil ich gewisse Rahmenbedingungen / Constraints doch beim Delegieren mitgeben kann oder sogar sollte. Und das ist in meinem Verständnis auch eine Art von Regel.
Hallo Claus-Peter,
es kommt darauf an, was genau du mitgibst: Sind es klare Regeln, die den Lösungsweg vorgeben oder handelt es sich um Prinzipien, die den Lösungsraum zwar einschränken, ohne aber den genauen Lösungsweg vorzugeben.
Beispiel für Regeln: „Mach es so“ oder „Wenn A, dann B“ – da muss ich nichts mehr entscheiden und dementsprechend auch keine Verantwortung übernehmen, sondern mich nur an die Regeln halten.
Beispiel für Prinzipien: „Achte besonders auf die Wirtschaftlichkeit“ – wie genau ich dieses Prinzip bei der Lösungsfindung berücksichtige und wie weit ich dabei gehe, bleibt mir im Kontext meines spezifischen Problems selbst überlassen und ich kann und muss Verantwortung für meine Entscheidungen übernehmen.
Gruß
Daniel
Hallo Lars, das Thema Verantwortung hat mich auch beschäftigt. Ich habe mir dies gedanklich so zurechtgelegt, um es aus meiner Sicht zu erklären: Verantwortung ist ein Begriff der Möglichkeit. Die Notwendigkeit (die Pflicht) ist unabweisbar, die Unmöglichkeit ist nicht erfüllbar. Unabweisbares und Unmögliches sind der menschlichen Entscheidung entzogen und somit nicht Gegenstand der Verantwortung. Es ist nicht die Handlung, sondern das Ergebnis der Handlung, das auf die Verantwortung hinweist. Wenn das Gute am Handeln in Frage gestellt wird, wird auch die Verantwortung in Frage gestellt. Verantwortungsvolles Handeln beinhaltet Umsicht und Überlegung. Der Verantwortliche strebt dabei ein sachgerechtes Handeln an, bei dem die Interessen und Bedürfnisse der Beteiligten angemessen berücksichtigt werden. Schuld tritt erst ein, wenn jemand seiner Verantwortung nicht nachkommt, obwohl er anders hätte handeln können. Primär ist die Verantwortung, die sich unmittelbar aus dem eigenen Handeln und individuellen Aufgaben ergibt. Sekundär besteht aber auch eine allgemeine Verantwortung, erkannte Missstände zu beseitigen, auch wenn man an deren Entstehung oder Zustandekommen nicht unmittelbar beteiligt war.
Hallo Lars, sehr schön auf den Punkt gebracht. Das Thema mit der Verantwortung als Floskel begegnet mir auch immer wieder, gerade heute bei einem Kunden – den Link zum Artikel kopiere ich gleich einem jungen Mann, der dort sehr wissbegierig ist.
Ich finde ja Ernst Weicheselbaum auch immer sehr zutreffend (Du spielst in Deinem Artikel ja auch drauf an): Handlungsstrecke und Beeinflussungsstrecke müssen ident sein, sonst kann es keine unmittelbare Verantwortung geben.
Das ist für mich die ideale Testfrage, wenn Führungskräfte davon reden, dass ihre Mitarbeitenden keine Verantwortung übernehmen (wollen). Einfach mal fragen, ob Aufgabe und Entscheidungsrahmen identisch sind. In den allermeisten fällen ist es nicht identisch und schon ist das Gefühl von Verantwortung nicht vorhanden. Und das gilt es im formellen Rahmen ja auch zu berücksichtigen, wenn nicht nur die pure Aufgabe gelöst werden soll.