»Wenn Regeln, Prozesse, Methoden oder Rezepte – also eingefangenes und zusammengepresstes Wissen – auf hohe Dynamik treffen, dann gibts große Schwierigkeiten. Denn die Dynamik entsteht aus einer hohen Anzahl von Überraschungen und diese lassen sich nicht mit vorhandenem Wissen lösen, denn sonst wären es keine Überraschungen. Versucht man es doch, so wachsen Business-Theater sowie Zynismus und die Organisation leidet unter sich selbst. Um die modernen komplexen Probleme zu lösen, braucht es Menschen mit tauglichen Ideen auf Basis ihres Gefühls. Sie werden Könner genannt.«
So in etwa lautet in verdichteter Form eine zentrale Denkfigur von Future Leadership, die auch andere modernere Organisationstheorien nutzen. Sie ist ein Grund dafür, weshalb es manchmal eine Art Gelehrtenstreit darüber zu geben scheint, ob Könner nun Methoden nutzen sollten bzw. dürfen oder eben nicht.
Könner sind ja nicht wegen irgendeiner Methode erfolgreich, sondern weil sie ihr passendes Gefühl zum Problem einbringen. Und andersherum lassen sich komplexe Probleme nun mal nicht ohne Menschen mit passenden Ideen lösen, egal welche Methode sie dazu nutzen.
Es ist verführerisch, diesen Unterschied zu ignorieren. Ich habe in den letzten Jahren einige Menschen kennengelernt, die das tun.
Zum Beispiel eine Beraterin, die nachweislich herausragend in der Lage ist, eine Gruppe von Menschen in Organisationen zum kreativen Denken anzuregen und konkrete Produktideen hervorzubringen. Sie behauptet steif und fest, dass dies mit ihr selbst nichts zu tun hätte, sondern es ihre eigens erfundene und inzwischen markenrechtlich geschützte Methode sei, die das schaffe. Den Namen der Methode habe ich sogar schon wieder vergessen. Aber selbst ich als selbsternannter Misanthrop, so die Beraterin weiter, könne mit einer beliebigen Gruppe aus einem Unternehmen herausragendes erreichen – wohlgemerkt mit ihrer Methode.
Sie rechnet sich als Person, als Könner also komplett aus der Gleichung heraus. Und das muss sie geradewegs auch, wenn sie die Methode beschreiben, verkaufen und trainieren möchte. Nur wundert sie sich auch seit Jahren, dass die von ihr angestellten und trainierten Methodennutzer nicht die gleichen Erfolge haben, wie sie selbst. Mit mir hat sie es noch nicht versucht …
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Oder der langjährige Geschäftsführer eines IT-Systemhauses. Ein Kotzbrocken als Mensch – entschuldigt bitte, das musste mal raus. Ein Choleriker mit Mundgeruch und die Menschenführung eines Strombergs gepaart mit Darth Vader. Alle waren erleichtert und froh, dass er sich kurz vor seiner Rente doch noch entschieden hatte, zu einem kleineren Wettbewerber zu gehen. Sollten die doch unter ihm leiden, hier könne man jetzt endlich die längst überfällige Transformation einleiten.
Der Haken: das Geschäft hing über 25 Jahre lang zu einem bedeutenden Teil an Aufträgen der öffentlichen Hand. Diese bekommt typischerweise, wer in der Lage ist, das „politische Spiel“ virtuos zu bedienen. Denn die öffentlichen Ausschreibungen korrekt in Angebote zu überführen, kann (fast) jeder. Da muss dann nur der Preis stimmen. Aber früh von neuen Budgets Wind bekommen, die politischen Entscheider kostenlos, vertrauensvoll und zunächst uneigennützig beraten, passenden Einfluss auf den Ausschreibungstext nehmen und hier und da auch mal einem Wettbewerber etwas zuschanzen, damit keine offensichtlichen Ungleichgewichte bei der Vergabe entstehen, dazu sind nur echte Könner in der Lage. Und so einer war nun mal Darth Vader. Keine Ahnung, wie er das immer hinbekam mit seinem miesen Charakter. Aber er schaffte es.
Dieses spezielle Können klebt an ihm dran. So ein Gefühl für die Situation lässt sich nicht aufschreiben oder in ein Wissensmanagement-System eintippen. Denn es ist ja kein Wissen. Und deswegen blieb das Können auch bei Vader, niemand konnte es einfach an den Nachfolger-GF oder irgendjemand anderen übertragen. Und weil es mit ihm verbunden war, verließ es mit ihm auch das Unternehmen, und der gleichmäßige Schwall an öffentlichen Aufträgen schwächte sich erst zum Rinnsal ab und versiegte 5 Jahre später vollständig. Vader selbst konnte nach seinem Weggang übrigens auch keinen unmittelbaren Profit aus seinem Können schlagen, denn die war höchst kontextspezifisch auf die regionale Politik seines früheren Unternehmens ausgebildet.
Beide Anekdoten sprechen eher dafür, dass Methoden und Könner nicht sonderlich zueinander passen.
Die Argumente in Kürze:
- Können ist die Fähigkeit problemrelevante Ideen zu kreieren und in einer Organisation dafür Resonanz auszulösen.
- Ideen braucht es dort, wo Wissen fehlt.
- Methoden & Co sind eingefangenes Wissen und können keine überraschenden Probleme lösen (höchstens aus Zufall)
- Methoden (wie Wissen im Allgemeinen) lassen sich von Mensch zu Mensch übertragen; Können klebt fest an Individuen.
- Können ist sehr kontextsensibel.
Aber ich habe auch Argumente für die Gegenseite, also dafür, dass Könner auf Methoden regelrecht angewiesen sind.
Und ich mache es wie bei einer guten Netflix-Serie, ich lasse diesen Satz als Cliffhanger für den zweiten Teil so stehen: »Don’t f*** the rules – Wie Du zum Könner wirst«
Zum zweiten Teil