Ich habe seit vielen Jahren zwei Kumpels aus meinen London-Zeiten: Jack und Paul. Die beiden sind Freunde und Geschäftspartner – so wie Lars und ich – und haben ebenfalls vor etwa 12 Jahren ihr Unternehmen gegründet.
Seitdem wir uns kennen, reden wir über unsere unternehmerischen Herausforderungen und helfen uns gegenseitig. Inzwischen fast nur noch in Videokonferenzen, denn Jack lebt inzwischen in Spanien, Paul nach wie vor in London und ich an der englischen Südküste, bei Brighton.
Ich kenne wenige Menschen, denen ich so sehr vertraue, wie den beiden. Doch vor Kurzem passierte in einem unserer Calls etwas Bemerkenswertes: Genau dieses Vertrauen wich von einem Augenblick zum anderen einem Gefühl von Misstrauen.
„Was spielen wir denn jetzt für ein Spiel?“
Rätselhaftes Misstrauen
Die beiden hatten mich gebeten, eine neue Dienstleistung kritisch zu hinterfragen, die sie kürzlich neu entwickelt hatten. So weit, so gewöhnlich.
Doch ca. 20 Minuten nach Gesprächsstart stellten wir plötzlich aneinander fest, dass mein Unternehmen ja auch potenzieller Kunde dieser Dienstleistung sein könnte. Unmittelbar setzte das Kopfkino ein und ich verfiel ohne Zutun in eine wachsame Defensivhaltung.
„Denken die wohl, was ich jetzt auch denke? Wollen die mir hier was unterjubeln? Passt doch gar nicht zu ihnen. Und gehen sie davon aus, dass ich jetzt noch als kritischer Freund agiere oder schon als potenzieller Kunde? Merken sie überhaupt, was ich gerade merke?“
Oberflächlich hätte man es uns vermutlich kaum ansehen können. Und dennoch: Spüren konnten wir es alle drei. Irgendetwas war plötzlich anders.
Es lag eine seltsame Spannung in der Luft. Eine Spannung, die Jack und Paul gar nicht ausgelöst hatten. Sie hatten mein Vertrauen ja nicht verletzt. Sie hatten es noch nicht einmal auf die Probe gestellt. Und dennoch spürte ich dieses Gefühl, das ich in ihrer Gegenwart nicht kenne: Misstrauen.
Nur warum bloß?
Die intrinsify Ausbildung
FUTURE LEADERSHIP
Löse Führungsprobleme,
die andere noch nicht mal verstehen.
Unbekannter Spielbetrieb
Wir Menschen spielen Spiele. So nennen wir sie zwar nicht, aber letztlich sind sie es. Tagein, tagaus machen wir von unausgesprochenen Spielregeln Gebrauch, die uns den Umgang miteinander erleichtern.
Es existieren übergeordnete Spiele (in der Systemtheorie als gesellschaftliche Funktionssysteme bezeichnet) wie die Familie, die Wirtschaft, die Politik, die Wissenschaft, die Massenmedien, die Moral etc.
Und es gibt Spiele, die sich auf der konkreten Interaktionsebene differenzieren lassen und bestimmten Programmen folgen, z. B. Verhandlungsspiele, Opfer-Retter-Spiele, Teile-und-Herrsche-Spiele usw. Diese sind in der Transaktionsanalyse gut beschrieben (siehe z. B. „Spiele der Erwachsenen“ von Eric Berne).
Wenn eine bewusste oder unbewusste Einigkeit hinsichtlich des gegenwärtigen Spielbetriebs besteht, wenn die Verhältnisse also (mindestens implizit) geklärt sind, fühlt sich die Kommunikation vertraut an. Und wo sich etwas vertraut anfühlt, kann sich Vertrauen stabilisieren – sowohl in das Spiel als auch in die Spieler. Denn obwohl die Verhaltensweise meines Gegenübers unberechenbar bleibt, bewegt sie sich dennoch in erwartbaren Bahnen.
Solange Jack, Paul und ich davon ausgingen, dass wir gerade „Freundschaft spielen“, waren die Verhältnisse geklärt.
Genau diese Klarheit ging jedoch in dem Moment verloren, in dem sich das Spiel Wirtschaft einmischte, ohne dass es uns wirklich bewusst war. Augenblicklich ging das Geländer verloren, an dem sich unsere Kommunikation entlang hangelte. Die Spielregeln setzten aus.
Was denn nun? Freundschaft oder Wirtschaft?
Lese ich die gerade getroffene Aussage als Ausdruck unserer jahrelangen Beziehung oder eines geschäftlichen Interesses? Beides könnte gemeint sein. Dieser Ambiguität begegnen wir mit Misstrauen. Logisch, wir können uns ja nicht mehr mit Sicherheit auf die Spielregeln verlassen.
Solche Situationen sind natürlich auch in Organisationen an der Tagesordnung.
Theaterkommunikation
Theaterkommunikation findet statt, wenn der Inhalt der Kommunikation ein anderer ist, als er vorgibt zu sein bzw. wenn die Kommunikation eigentlich eine andere Funktion erfüllt.
Davon gibt es unendlich viele Beispiele:
Du diskutierst hitzig über ein Projekt, doch eigentlich geht es um die Karriereleiter. Denn der Ausgang des Gesprächs bestimmt, wer im Lenkungskreis seine Lösung vorstellen und damit einen guten Eindruck machen kann.
Ihr diskutiert im Meeting, wie ihr eine agile Methode einführen wollt, dabei geht es eigentlich um die Marketingfunktion gegenüber der Konzernmutter, die damit erzielt werden kann.
Du besprichst mit einem Mitarbeiter seine gegenwärtigen Aktivitäten, dabei geht es eigentlich um ein Ziel, das er noch erreichen will, um seinen Bonus zu bekommen.
Theaterkommunikation ist nicht immer schlecht und längst nicht immer vermeidbar. Und dennoch: Sie ist eine wesentliche Zutat für Misstrauen und Verschwendung.
Misstrauen ist deshalb auch als eine Art Lösung für solche Situationen zu verstehen. Sie reduziert Komplexität. Misstrauen ist also kontextsensibel. (ausführlicher habe ich das hier erläutert: „Die wahre Funktion einer Misstrauenskultur“)
Also was tun? Wie kannst Du dem Misstrauen Einhalt gebieten? Und solltest Du das überhaupt?
Ansprechen oder nicht?
Wie immer, gibt es kein Rezept für den Umgang mit solchen komplexen Situationen. Und dennoch könnten Dir folgende drei Fragen helfen, wenn Du Theaterkommunikation beobachtest.
Frage 1: Welche Spiele sind hier im Gange?
Jedes Spiel folgt einer Unterscheidung. In der Wirtschaft geht es zum Beispiel immer um die Frage, welchen Beitrag eine Mitteilung zum Geschäftsbetrieb hat. „Zahlen“ oder „nicht zahlen“, darum dreht sich alles. Es ist die übergeordnete „Grundwährung“ der Kommunikation. In der Wissenschaft zahlt alles auf die Frage ein „Ist das wahr, oder nicht?“.
Innerhalb dieser Grundwährung kann es dann, wie oben dargestellt, um weitere Unterscheidungen gehen, z. B. um die Karriereleiter. Dann wird sich das „echte“ Spiel, also das für das Gespräch prägende, um die Unterscheidung „Aufstiegschance ja / nein“ drehen.
Versuche die Unterscheidung zu erkennen, die das Gespräch prägt. Diese Detektivarbeit erlaubt Dir, wieder klar zu sehen und bildet die Grundlage für eine wirksame Intervention.
Frage 2: Verursacht die Theaterkommunikation unnötige Verschwendung oder sonstigen Schaden?
Manchmal ist Theaterkommunikation genauso unspektakulär wie sie folgenlos ist. Dann muss sie auch kein Anlass für einen Eingriff oder eine Thematisierung sein. Ich habe mich selbst schon dabei erwischen müssen, wie ich Gesprächssituationen aus Prinzip pathologisiert habe. Dabei weiß ich selbst, dass nichts nerviger ist, als Berater, die jedem Unternehmen ein Problem unterjubeln oder in jeder Situation den Bedarf sehen, in die Metaebene zu springen und Ursachenanalyse zu betreiben. Man kann sich auch zu Tode reflektieren.
Aber wenn die Theaterkommunikation Verschwendung erzeugt, z.B. indem sie unnötige Konflikte provoziert, teure Missverständnisse hervorruft oder den Alltag beherrscht und so kommunikative Ressourcen absorbiert, dann kann es sinnvoll sein, sie zum Thema zu machen.
Das heißt, Du enttabuisierst den wahren Spielbetrieb und machst ihn damit zum Gegenstand des Gesprächs.
Frage 3: Welchen Kollateralschaden könnte die Enttabuisierung verursachen?
Als ich mir die Systemtheorie-Brille vor vielen Jahren zum ersten Mal aufgesetzt habe und Übung in ihrer Nutzung bekam, sah ich plötzlich so viel klarer als vorher, dass ich meinen Kunden jede Theaterkommunikation unter die Nase rieb. Verklärt von meiner eigenen Euphorie, sprach ich dabei auch Kellerleichen an, die lieber unerwähnt geblieben wären.
Zum Beispiel die Tatsache, dass ein alter Vertriebsleiter eigentlich nur noch aus Verbundenheit der Inhaberfamilie an Bord war, obwohl seine Leistung das nicht mehr rechtfertigte. Oder dass es doch eigentlich um die Bereicherung des Gesellschafters ging, als der Bau des neuen Bürogebäudes besprochen wurde. Sehr naiv, ich weiß.
Überprüfe also immer, welche positive und negative Wirkung es haben könnte, Theaterkommunikation offen anzusprechen. Es lohnt sich.
Jack und Paul
Die Geschichte mit Jack und Paul ging gut aus. Ich sprang kurz in die Metaebene, informierte uns gemeinsam über das zusätzliche Spiel, dass wir uns gerade eingehandelt hatten, wir klärten gemeinsam, in welchen Modus wir uns begeben wollen und dann ging es konstruktiv weiter.
Vor allem war das Vertrauen zurückgewonnen. Denn die Verhältnisse waren wieder geklärt. Wir wussten um den Spielbetrieb, der uns gerade leitet. Und so konnte ich Jack und Pauls Mitteilungen eindeutig zuordnen, was dem Misstrauen jeden Anlass nahm.
Es ist wie beim Spielbrett auf dem Esstisch: Sobald ich weiß, ob ich gerade Dame oder Schach auf dem Spielbrett spiele, kann konstruktiv gespielt werden.