Über eine vielfach verpasste Chance
In meinen MarkUp News habe ich darüber gesprochen, wie Google, Spotify, Siemens & Co. über die Rückkehr nach der Pandemie denken und wer am besten über den Arbeitsort entscheiden sollte.
Oft wird davon ausgegangen, dass eine Präsenzpflicht auch die Teamleistung wieder erhöht. Doch mangelnde Teamleistung hat meist andere Gründe. Leider bleiben diese mit so vorschnellen Arbeitsort-Entscheidungen unentdeckt. Was kann man stattdessen tun?
Zurück ins Büro
Einige große Vorbilder wie Google oder Facebook kehren aktuell zu einer strikteren Präsenzerwartung zurück. Zwar soll es nach wie vor Homeoffice geben, allerdings stark eingeschränkt, z.B. durch Freigabeberechtigungen seitens der Manager und begrenzte Heimarbeits-Kontingente.
Sie begründen dies mit der Beobachtung, dass die Zusammenarbeitsqualität gelitten habe, seitdem keine Präsenz mehr möglich ist. Welchen Hinkefuß diese zentralen Entscheidungen und Richtlinien mit sich bringen, führe ich ausführlich in dieser Episode meiner MarkUp News aus (englischsprachig).
Im Folgenden greife ich einen weiteren Aspekt auf, der insbesondere auf die Qualität der Zusammenarbeit fokussiert.
Woran scheitert die Zusammenarbeit wirklich?
Ich werde oft gefragt, wie wir bei intrinsify unsere virtuelle Arbeit organisieren. Mir ist es dann manchmal schon fast ein bisschen unangenehm, dass ich weder mit ausgefuchsten Methoden noch irgendwelchen ungewöhnlichen Tools aufwarten kann. Und das, obwohl wir seit über sechs Jahren geografisch verteilt arbeiten.
Wir nutzen in unserer Akademie Monday und Slack, wir haben Zugang zu einer gemeinsamen Ordnerstruktur, wir haben ein paar Regeltermine (Projektkoordination, Projektreflexion, informelles Gequatsche), wo wir Zoom einsetzen und das war’s auch eigentlich schon, was die wesentlichen Zusammenarbeitsmethoden und Rituale angeht.
Dass wir meines Erachtens verdammt viel auf die Straße bringen, dabei wirksam zu sein scheinen und gleichzeitig kaum Verschwendung beobachten, dürfte seinen Grund also woanders haben.
Das gilt natürlich nicht nur für uns. Schaut man genauer hin, erkennt man bei funktionierenden virtuellen Teams ein interessantes Muster: Sie teilen ein gemeinsames Problem und werden nicht davon abgehalten, darauf hinarbeiten zu können.
Die Mitglieder des Teams sind dabei wechselseitig aufeinander angewiesen. Gleichzeitig beinhaltet das Team alle wesentlichen Funktionen bzw. Kompetenzen, um dem Problem Herr zu werden. Darüber hinausgehende Leistungen werden über Schnittstellen angebunden. Sind solche Zusatzleistungen problemempfindlich und müssen sich ständig mit dem Team weiter entwickeln, werden sie im Team selbst aufgebaut bzw. vorgehalten.
Vor allem aber ist die wesentliche Referenz funktionierender Teams eine Referenz, die außerhalb ihrer selbst liegt, eine externe Referenz.
Ob ein Team seinen Zweck erfüllt, erkennt man also daran, ob das Problem kleiner wird, auf dessen Lösung das Team hinarbeitet. „Problem“ ist dabei natürlich abstrakt zu verstehen – ein Problem kann eine zu füllende Marktlücke sein, ein nötiger Projekterfolg, eine Produkteigenschaft, etc.
Spätestens jetzt wird klar, dass Virtualität oder Präsenz mit dem Funktionieren eines Teams grundsätzlich nichts zu tun haben. Natürlich gibt es Teams, die aus Sachzwängen auf die physische Anwesenheit ihrer Mitglieder angewiesen sind. Ein Bauteil lässt sich nun mal nicht virtuell montieren. Und manche Workshops lassen sich deutlich besser durchführen, wenn man gemeinsam vor der Metaplan-Wand steht.
Aber das ist selbstverständlich auch jedem Mitarbeiter klar. Wenn ein Team also wirklich ein Team ist, dann ist es auch an Mitteln zum Zweck interessiert.
Wenn es sich gerade nicht physisch begegnen kann, dann werden seine Mitglieder auf die Suche nach Werkzeugen und Ritualen der virtuellen Zusammenarbeit gehen, die dem Team nützlich sein könnten. Und wenn ein Treffen möglich und sinnvoll erscheint, wird das Team die Gelegenheit dazu suchen.
Ich würde deshalb behaupten, dass der Pandemie-induzierte Zwang zur virtuellen Zusammenarbeit ein Problem sichtbar gemacht hat, dass durch den Zwang zur Rückkehr ins Büro wieder verschleiert wird. Nämlich, dass ein Team nur dann eines ist, wenn es sich selbst organisiert. Sonst ist es nur eine Gruppe von Menschen, die kein Problem teilt.
Oder andersherum: Ein Team, das virtuell nicht zusammenarbeiten kann, war auch vor der Pandemie keines. (Den durchaus verbreiteten Ausnahmefall, dass die Wertschöpfung eine physische Anwesenheit zwingend voraussetzt, mal ausgenommen.)
In 12 Monaten zum All-Star Führungsteam
ohne das Leitbild und euren Führungsstil über den Haufen zu werfen.
Virtuelle Zusammenarbeit als Chance für einen organisationellen Entwicklungssprung
Wenn also in einem Unternehmen der Mangel an Zusammenarbeit bisher nur auf die Unfähigkeit sich virtuell organisieren zu können zurückgeführt wurde, dann sieht man natürlich die Lösung auch nur in zwei Strategien:
Entweder man behelligt die Mitarbeiter mit zahlreichen Angeboten und Trainings zur virtuellen Zusammenarbeit oder man ruft die Rückkehr ins Büro aus.
Ersteres ist für echte Teams nur Beschäftigungs-Theater, weil sich diese ohnehin selbst nach Lösungen umsehen, während es für Teams, die keine sind, nicht an der eigentlichen Ursache ansetzt.
Letzteres, also die Präsenzpflicht, verschleiert das Problem und lässt eine Gelegenheit für einen organisationellen Entwicklungssprung vorbeiziehen.
Warum ist das so? Warum verschleiert die Präsenz das Problem, dass ein Team gar kein Team ist?
Dazu muss man ein bisschen um die Ecke denken: Die unangemessenen Organisationsstrukturen eines Unternehmens fallen bei der virtuellen Zusammenarbeit deutlich mehr ins Gewicht als vor Ort. Denn zurück in der Präsenz kann das Fehlen echter Teams hinter den Kulissen leichter kompensiert werden.
Virtuell, wo die Gelegenheiten des informellen Austausches, der Flurgespräche, der Raucherpausen, des Augenzwinkerns im Meeting, der subtilen Gesten, der spontanen Bildung temporärer Strukturen etc. deutlich eingeschränkter sind, da tut die „schlechte“ Organisation mehr weh.
Doch das bedeutet natürlich nicht, dass die Reibungsverluste vor Ort beseitigt wären, sie werden bloß stärker vernebelt. Echte Teams gibt es immer noch nicht, bzw. sie müssen ständig im Verborgenen agieren.
Insofern bietet der Schmerz, den die virtuelle Zusammenarbeit in vielen Organisationen aktuell verursacht, eine Lern- und somit Entwicklungsgelegenheit.
Anstatt zu fragen, wie man mit cleveren Methoden dem virtuellen Arbeiten auf die Beine hilft oder dieses gleich aufgibt, könnte man eine grundsätzlichere Frage stellen:
Folgen unsere formale Struktur, unsere Management-Instrumente, kurzum, unser Führungssystem wirklich den Anforderungen der Wertschöpfung?
Wenn die Antwort „Nein“ lautet, liegt auch die Lösung auf der Hand. Denn weder Methoden noch Arbeitsorte machen Teams (streng genommen kann man Teams natürlich nicht machen, man kann nur die Wahrscheinlichkeit für ihre Entstehung erhöhen), sondern geteilte Probleme, die auf dazu passende Organisationsstrukturen treffen.
Volle Bestätigung! Klingt nur leider so unspektakulär. Und da man mit diesen Erkenntnissen kaum Beratung oder Produkte oder Werkzeuge verkaufen kann, wird da auch nicht viel drüber gesprochen/geschrieben.
Etwas um die Ecke denken musste ich schon, bei dem Titel und dann beim Lesen.
Aber: Meine Zustimmung ist dennoch gegeben. Ich kann das nur unterstreichen, trifft auch meine Erfahrungen und Erlebnisse, nicht erst seit März 2020 gemacht.
Was ich gern noch als Gedanken ergänzen möchte, mit einem Blick auf das gesamte Unternehmen und all seine (selbstorganisierten) Teams:
Jedes Unternehmen braucht eine Mission, eine Vision für seine Tätigkeit. Es muss klar werden was ich durch meine Arbeit in einem Unternehmen erreichen kann, verändern, besser machen kann.
Ist das vorhanden, dann kann ein Unternehmen beispielsweise neue Kolleg*innen viel besser suchen (passend zur Vision), leichter integrieren – und wenn ein Unternehmen aus Mitarbeiter*innen besteht, die überwiegend nach einer gemeinsam geteilten Mission handeln, denken und entscheiden, dann kann man denen auch voll und ganz *vertrauen* sowohl den richtigen Arbeitsort zu wählen auch auch passende Tools für ihre Arbeit einzusetzen.