Schon um die 80 ist sie, die alte Dame. Und sie rockt den Saal noch immer. Andere in ihrem Alter haben die Bühne längst verlassen. Vergessen oder zumindest verdrängt – durch jüngere, buntere Paradiesvögel.
Aber „Change“ ist nicht wegzudenken. Mit ihren Helfern und Helfershelfern – Change Agents, Change Teams, Change Communication, Change Management – tourt sie durch sämtliche Unternehmen dieser Welt.
Denn Wirtschaften hat heute nun mal mit stetiger Veränderung zu tun – und so kommen wir nicht umhin, die Dame ins Boot zu holen.
Meist scheitern die Gigs jedoch an der Kulturfrage. Den neuen Logistikprozess hat man sich relativ schnell überlegt. Den Weg zu kürzeren Angebotsdurchlaufzeiten auch. Aber dass die Leute die neue Vorgehensweise verstehen und sich daran halten, das fällt so unglaublich schwer.
Die Idee: Gute Kulturveränderungsprogramme für eine wirklich nachhaltige Veränderung. Bisher laufen die Gigs trotzdem nur mit sehr mäßigem Erfolg.
Wobei man das der Künstlerin selbst nicht wirklich ankreiden kann, denn die Fehler macht eher ihr Management. Vier Fehler, um genau zu sein:
1. Wenn‘s nicht klappt, liegt’s am Mitarbeiter.
Problem: Der Mitarbeiter hält sich nicht an den neuen Prozess.
Denkfehler: Es muss am Mitarbeiter liegen. Also schulen wir ihn und versuchen, ihn von den Vorteilen zu überzeugen.
Wenn die Schweißerei zu hohe Bestände aufbaut, müssen wir eben mit den Schweißern Tacheles reden. Logisch.
Reaktion: Der Mitarbeiter sieht das intellektuell sofort ein, aber spätestens nach einer Woche arbeitet er doch wieder wie gehabt.
Unrezept: Kein Wunder. Der Mitarbeiter hat wahrscheinlich implizite oder explizite Reize, die ganz klar dominieren.
Man denke nur an den Vertrieb: Wer würde schon den Auftrag sauber klären und eine genaue Spezifizierung vom Kunden einfordern, wenn die eigentliche Erwartung ein möglichst großer Auftragseingang ist. Und auch nur der letztlich durch entsprechende Boni honoriert wird.
Also: Forschen im Mitarbeiterumfeld. Reize ausschalten, die ein anderes Verhalten opportun machen.
Warum sich Unternehmenskultur nicht entwickeln lässt und mit welchem Kniff es kluge Führungskräfte und Organisationsentwickler trotzdem schaffen.
2. Kultur ist gestaltbar.
Problem: Es mangelt an Teamgeist, an wirklicher Unterstützungsmentalität. Das geht so nicht weiter, findet ihr. Die Mitarbeiter müssen lernen, dass Teamarbeit gut ist. Dass es mit gegenseitiger Unterstützung deutlich besser geht als ohne. Und wie? Natürlich durch Trainings.
Denkfehler: Es herrscht die Überzeugung, die Mitarbeiter würden sich ihre Kultur selbst und ganz bewusst zurechtzimmern. Also könne man beim Zimmern ja getrost etwas nachhelfen.
„EIN Geisterfahrer? Nein. ALLE!“
Reaktion: Um der groß propagierten Erwartungshaltung nach den Trainings gerecht zu werden, unterstützt man sich, wo man nur kann. Ein krampfhaftes Unterfangen, weil man immer wieder aneckt. Weil man immer wieder gegen die herrschenden Zustände, gegen die tatsächliche Kultur, an arbeitet.
Man spürt, dass das, was man tut, nicht passt. So wie man sich in Deutschland schwer tun würde, beim Essen lauthals zu rülpsen – auch wenn das in China normal ist.
Unrezept: Es ist zwar schrecklich kontraintuitiv, aber leider ist Kultur nun mal nicht so, wie wir es gerne hätten. Wir können sie uns nicht backen, nicht bauen, nicht antrainieren. Mitarbeiter machen ihre Kultur eben nicht selbst, sondern sie finden sich irgendwann schlicht in ihr wieder. Sie ergibt sich einfach so – ohne, dass man sie gefordert hätte.
Der einzige Weg, sie ansatzweise in die Richtung zu lenken, in die man sie gerne hätte, ist, sich diese Frage zu stellen: Welche Rahmenbedingungen begünstigen welche Kultur?
Beispiel: Wenn man Unterstützungsmentalität fordert, dann sind jegliche Individualvereinbarungen schlichtweg widersprüchlich, weil sie einem ganz anderen Glaubenssatz folgen.
3. Kultur ist kausal. Und kopierbar.
Problem: „Ich will genau solche engagierten Montagemitarbeiter haben, wie ich sie neulich beim Unternehmen X gesehen habe. Mann, war das genial! Wie geht das wohl?“ Und so fragst du die Helden vom Unternehmen X: „Wie habt ihr das gemacht?“
Dann kommt irgendeine Antwort und irgendeine Empfehlung. Und natürlich ist X fest davon überzeugt, dass es durch ganz bestimmte Schritte exakt dahin gekommen ist: „Wir haben erst alle Stempeluhren rausgeworfen, um volles Vertrauen zu signalisieren, dann unsere Zahlen transparent gemacht und auf diesem fruchtbaren Boden unsere Boni abgeschafft.“ Rezept klar. Oder?
Denkfehler: Wenn-Dann-Regeln gelten auch für Kultur.
„3×3 macht 6 – widdewidde Wer will‘s von mir lernen?“
Reaktion: Man macht es jetzt genau so wie das Benchmarking-Unternehmen. Aber – herrje – es kommt etwas ganz anderes dabei heraus.
Unrezept: Organisationen, also soziale Systeme, sind keine Maschinen, die solchen Wenn-Dann-Regeln folgen. Sie sind komplex. Und in der Fachliteratur liest man, sie verhalten sich „kontingent“ – d.h. ein- und dieselbe Maßnahme kann immer auch andere Folgen haben. Zeitlich und inhaltlich nicht vorhersehbar.
Du kannst A machen und es passiert B. Ebenso gut kann aber auch C passieren. A-B, A-C. Zwei gleiche Ausgangssituationen, zwei unterschiedliche Ergebnisse. Keiner weiß warum, aber so ist es. Die Wirkzusammenhänge sind einfach zu verschachtelt, als dass man sich irgendwelche Regeln erdenken könnte.
Also: Rahmenbedingungen ermitteln, die ein bestimmtes Verhalten begünstigen, ist schon ein richtig guter Weg. Man darf nur nicht erwarten, dass ein konkreter Schritt dann auch eine bestimmte Lösung hervorruft.
4. Kultur ist ein Projekt.
Problem: „Bis April müssen wir mit dem Projekt durch sein, weil dann die Integration der Töchterunternehmen ansteht. Und die sollten ja bestenfalls schon mit der neuen Arbeitsweise infiziert werden – und von überzeugten Mitarbeitern lernen.“
Denkfehler: Man geht davon aus, man könnte deterministisch an so eine Veränderung rangehen. Ein kultureller Veränderungsprozess hätte Startschuss und Zielfahne.
„Klappe, die erste!“
Reaktion: „Na gut, wenn ein Zieleinlauf gefordert wird, dann verfallen wir jetzt mal in den Sprint und bringen das geschwind zu Ende.“ Die Schauspieler leisten ganze Arbeit. Doch dieses „Sozialtheater“ dient nur der Befriedigung der geforderten Werte oder Verhaltensweisen. Von Nachhaltigkeit keine Spur.
Währenddessen arbeitet unter dem Radar der Flurfunk weiterhin auf Hochtouren und hält damit so ganz nebenbei den Laden am Laufen. Denn jeder in der Truppe weiß ganz genau: „Würden wir diesen Forderungen wirklich schon jetzt gerecht werden, dann würde hier gar nichts mehr gehen. Wir füllen also lieber brav diese Reports aus und verhalten uns taktisch.“
Unrezept: Immer offen mit der Tatsache umgehen, dass Veränderungen nicht determinierbar sind, sondern ein ständiger Prozess aus Trial and Error.
Drehen. Beobachten. Repeat.
Also: Nie versuchen, Kultur direkt zu verändern. Jede Organisation handelt sich immer genau die passende Kultur für das aktuelle System ein. Die Unternehmenskultur ist der Schatten der Organisation.
Besser: Vorsichtig und behutsam an den Systemschrauben drehen und experimentell vorgehen.
Ein Beispiel: Für 3 Monate 6 Mitarbeiter aus der Abteilung Einkauf, Vertrieb, Montage und Konstruktion in einem Team so zusammenarbeiten lassen wie sie es für richtig halten und ihnen dabei EINHUNDERTPROZENT Rückendeckung geben. Also ihnen einen Schutzraum schenken, durch den keiner durchgreifen kann.
Nach 3 Monaten könnte etwas entstanden sein, das man nie für möglich gehalten hätte. Mit den gleichen Mitarbeitern, die vor 3 Monaten noch ziemlich faule Säcke waren. So dachte man zumindest.
Und vielleicht steckt es dann an. Vielleicht auch nicht. Vielleicht geht das Experiment auch gründlich in die Hose. Aber dann startet man das nächste.
In Summe kommt man deutlich schneller voran. Garantiert.
Wenn man sie in Ruhe lässt, ist Change, die alte Dame, echt der Hammer. Wir wünschen euch eine gute Zeit mit ihr – ohne all die lästigen Kulturveränderungsprogramme.
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